Wir sollten innovativer denken

Wie beurteilen Wissenschaftler die umweltpolitischen Maßnahmen zum Schutz und Erhalt von Biodiversität? Ein Interview mit Prof. Dr. Markus Fischer, der an der Universität Bern und am Senckenberg Forschungszentrum Frankfurt zu Biodiversität und Klima forscht.

Aus Anlass des bevorstehenden Endes der UN-Dekade der Biodiversität sprachen wir mit Prof. Dr. Markus Fischer, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Fischer forscht und lehrt an der Universität Bern und am Senckenberg Forschungszentrum Biodiversität und Klima in Frankfurt.

Herr Prof. Fischer, mit dem Jahr 2020 endet die UN-Dekade der Biodiversität. Was hat sie aus Ihrer Sicht gebracht, und in welchen Bereichen hätte mehr passieren müssen?

Die Resultate dieser UN-Dekade sind natürlich extrem ernüchternd. Von den 20 Zielen, die man sich vor zehn Jahren gesetzt hatte, ist nicht ein einziges vollständig erreicht worden. Das ist im aktuellen 5. Global Biodiversity Outlook der UN-Biodiversitätskonvention leider sehr eindrücklich dokumentiert worden. Der Rückgang der Artenvielfalt wurde nicht gestoppt. Es mangelt nach wie vor an einer ganzheitlichen Perspektive, sodass in den relevanten Politikfeldern oft isoliert nebeneinander her gearbeitet wird. Die Ziele, denen man am nächsten kam, waren solche, bei denen es um vor allem Verwaltungsakte ging, also etwa das Erarbeiten von Strategien oder das Ausweisen von Schutzgebietsflächen, letzteres aber leider meist ohne die notwendigen Maßnahmen und Mittel.

Wenn es ganz allein nach Ihren Wünschen ginge, wie müsste die deutsche und europäische Politik den Schutz der Biodiversität verankern?

Die Biodiversität ist in der bisherigen Politik allenfalls ein Nebenschauplatz. Das größte Problem ist, dass unser Lebensstil und die nicht nachhaltigen Produkte und Dienstleistungen, die wir täglich brauchen, hohe externe Kosten haben. Nur wenn man die an der Natur angerichteten Schäden in Preise, Steuern, Subventionen und Zölle integrieren würde, würden die wahren Kosten offensichtlich. Und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen würden preiswerter und attraktiver.

Prof. Dr. Markus Fischer @ Sam Buchli

Ein weiteres Problem ist, dass Entscheidungsträger und Landnutzer nicht integriert handeln. Die Rahmenbedingungen sind meist so gesetzt, als ob die Natur vor allem zur Produktion von Nahrungsmitteln oder von Holz zu gebrauchen sei. Alle anderen Leistungen der Natur für den Menschen werden weitgehend als selbstverständlich hingenommen, wie zum Beispiel der Beitrag der Insekten zur Bestäubung von Nutzpflanzen, zur Bodenbildung und zur natürlichen Schädlingsregulierung. Hier gibt es aber gerade einen dramatischen Rückgang. Die Erkenntnis, dass mit dem Rückgang der Artenvielfalt auch Ernährungssicherheit und Klimaschutz abnehmen, hat sich noch nicht durchgesetzt. So haben wir auf allen Ebenen – Gemeinden, Länder, Staaten, Staatenverbünde – inkohärente Politiken. Schon allein die Landwirtschafts- und die Umweltpolitik widersprechen sich vielfach.

Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die gerade beschlossene EU-Agrarreform hinsichtlich der Biodiversität?

Die daran laut geäußerte Kritik überrascht mich nicht. Der finanzielle Förderanteil für Maßnahmen für Umwelt und Biodiversität ist viel zu gering. Wir alle profitieren von 18 verschiedenen Typen von Leistungen der Ökosysteme für den Menschen, die Produktion von Nahrungsmitteln ist nur eine davon. Biodiversitätsschutz, Klimaschutz und Ernährungssicherheit sind eng verzahnt und erfordern integrierte Maßnahmen. Wir sollten innovativer denken, uns zum Beispiel auch die Frage stellen, warum wir eigentlich keine gemeinsame Ökosystempolitik einführen, statt getrennten Landwirtschafts-, Forst-, Gewässer- und Umweltpolitiken.

Es gilt, das Sektorale zu überwinden, um den Mehrwert nutzen zu können, den ein sinnvoller Umgang mit der Natur ermöglicht. Im aktuellen Gutachten des WBGU vom 3. November 2020 haben wir entsprechende Empfehlungen gegeben. Wir stellen darin fünf

Governance vor. Was landwirtschaftliche Produktion und Ernährung angeht, haben wir die Diversifizierung der Landwirtschaft und gesündere Ernährungsstile mit geringerem Fleischkonsum als vielversprechende Wege angesprochen. Hier bieten sich vielfältige Handlungsoptionen für Politik, Landwirtschaft, Handel, Verpflegungsbetriebe und Konsumentinnen und Konsumenten.

Fühlen Sie sich als Experte eigentlich ernstgenommen, wenn einflussreiche Teile der Politik so gar nicht hören wollen, was Sie zu sagen haben?

Als Mitglieder des WBGU ist unsere Politikberatung ja sowohl wissenschaftlich sehr gut fundiert als auch durch die Bundesregierung legitimiert und wird entsprechend auch gehört. Bei der Umweltministerin hatten wir bei der Übergabe unseres jüngsten Gutachtens durchaus das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Um möglichst nützlich zu sein, muss wissenschaftliche Politikberatung Handlungsoptionen aufzeigen, nicht nur Systeme analysieren. Wir versuchen entsprechend, jeweils wissenschaftliche Themen und gesellschaftliche Lösungen zusammenzudenken.

Multilaterale Finanzinstitute haben in den vergangenen Jahren innovative Finanzierungsinstrumente zum Schutz der Artenvielfalt auf den Weg gebracht. Nehmen Sie schon konkrete Auswirkungen davon wahr, oder brauchen wir dafür einen längeren Atem?

Finanzierungsinstrumente, etwa aus dem Umfeld der Natural Capital Investments, könnten überall da helfen, wo sie ausgewogenen, nicht nur einzelnen, Umweltzielen nutzen und wo wirklich das fehlende Geld der entscheidende Engpass ist. Oft sind wir aber zunächst mit schwierigen Fragen der Governance und Partizipation konfrontiert, wie etwa bei schwachen staatlichen Institutionen oder bei Fragen zu gerechter Verteilung und gerechten Preisen in von Unterernährung betroffenen Gebieten. Erst im Zusammenspiel ausgewogener Ziele mit wirkungsvoller Governance und Partizipation können Finanzierungsinstrumente sehr wirksam sein. Sonst geht Geld oft in die falschen Kanäle.

Worin liegt Ihrer Ansicht nach die Verantwortung der Industrie?

Wir können den Rückgang der Biodiversität nur aufhalten, wenn wir nachhaltig produzieren. Bisher verursacht industrielle Produktion externe Kosten, die nicht in die Unternehmenskosten und Produkte eingepreist sind. Es setzt für Konsumenten die falschen Anreize, wenn umweltschädliche Produkte billig sind. Die Nahrungsmittelindustrie hat zum Beispiel noch viel Spielraum, gesünder und umweltfreundlicher zu werden. Wir brauchen auch einen verantwortungsvolleren Umgang mit unseren Lieferketten, etwa in Form von Partnerschaften oder Labels.

In ihren Innovationsleistungen haben alle Unternehmen die Wahl, in welche Richtung sie forschen und investieren wollen. Innovative Ideen für geringeren Ressourcenverbrauch und Kreisläufe sind wichtig. Eine sinnvolle Option sind „nature-based innovations“. Dazu kann der stärkere Einbezug nachwachsender Rohstoffe gehören, etwa im Holzbau. Ein klares Bekenntnis zur Biodiversität heute kann in zehn Jahren ein handfester Marktvorteil sein. Also: a) nachhaltige Produktion, b) Innovationen in Richtung Nachhaltigkeit lenken und c) keine falschen Anreize setzen, das ist ein guter Weg.


Das Interview ist Teil des alle zwei Monate erscheinenden akzente Politikmonitors. Darin verfolgen wir die Diskussionen und Veranstaltungen rund um Nachhaltigkeit in Brüssel und Berlin, greifen Impulse auf und geben Einblicke. Die neuesten Ausgaben des Politikmonitors stehen Ihnen hier zum Download bereit.

Titelbild: Eran Menashri | Unsplash

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