Herr Müschen, Sie sind ein langjähriger Wegbegleiter des Klimaschutzes. Wie geht es Ihnen heute – sind Sie euphorisch oder desillusioniert?
Die Arbeit an der Energiewende und dem Klimaschutz zieht sich durch mein ganzes berufliches Leben. Ich war schon bei der ersten Klimakonferenz hier in Berlin 1995 dabei, bei der Angela Merkel als Umweltministerin den Vorsitz hatte. Damals habe ich beim Land Berlin das Klimareferat geleitet. Später im Umweltbundesamt war natürlich das Klimaabkommen 2015 in Paris ein großer Durchbruch. Jetzt sehen wir allerdings, wie unheimlich zäh es ist, dieses Abkommen mit Leben zu erfüllen. Es sieht mitnichten so aus, dass es bei der versprochenen Begrenzung der Erderwärmung auf unter 1,5 Grad bleibt. Wir leben derzeit ganz klar auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder.
Das heißt, Sie blicken pessimistisch in die Zukunft?
Ich schwanke da seit Jahren zwischen der pessimistischen und zuversichtlichen Variante. Auf der einen Seite geht mir alles viel zu langsam – egal ob es um erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder Kohleausstieg geht. Und auf der anderen Seite bin ich immer wieder überrascht, dass Technologien sich wesentlich schneller entwickeln, als wir uns das vor zehn oder zwanzig Jahren vorgestellt haben, so ist bei den erneuerbaren Energien eine rasante Entwicklung in Gang gekommen. Die Preise für Strom aus Wind- und Sonnenkraft sind heute konkurrenzfähig gegenüber den fossilen Energien — und gegenüber der Atomenergie sowieso.
Fridays for Future hat eine enorme Dynamik entfaltet. Wissenschaftler und auch Un-ternehmen haben sich angeschlossen. Welche Bedeutung sehen Sie in der Bewegung?
Fridays for Future ist unheimlich stark geworden und mobilisiert weiter viele, insbesondere junge Leute. Inzwischen sehen wir, dass es letztendlich ein Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das Bewusstsein, dass wir dringend handeln müssen, ist bei vielen Menschen da – vor allem bei jenen, die besonders betroffen sein werden. Und auch mir wird angst und bange, wenn Wissenschaftler sagen, dass ein Sommer wie der letzte in zehn bis zwanzig Jahren ein kühler Sommer sein wird. Die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft haben diese Bewegung anfangs über-haupt nicht ernst genommen und manchmal sogar diskreditiert. Scientists for Future war die Antwort von über 26.000 Wissenschaftlern. Wir wollten klar machen, dass die Anliegen von Fridays for Future berechtigt und wissenschaftlich begründet sind.
Wo bestehen die größten Chancen zur Lösung dieser Krise beziehungsweise zur Einlösung der Klimaziele?
Ein wichtiger Punkt ist der Ausbau erneuerbarer Energien. Wir brauchen den massiven Ausbau von Wind- und Solarkraftwerken. Ein zweiter Punkt, bei dem wir nachbessern müssen, ist ein schneller Ausstieg aus der Kohle. Der Abschaltplan müsste für alte Kraftwerke 2030 beendet sein – und das sozialverträglich und ökonomisch machbar.
Ein weiterer Punkt: Die Energieeffizienz muss in allen Bereichen verstärkt werden – vor allem im Gebäudebereich und im Verkehrssektor.
Das Klimapaket der Bundesregierung wird von vielen Seiten als zu wenig ambitioniert kritisiert. Welcher Punkt müsste am dringlichsten nachgebessert werden?
Der Einstiegspreis für CO2. Nach dem bisherigen Vorschlag wird es ungefähr zwei Jahre dauern, bis dieser Mechanismus überhaupt bei der Deutschen Emissionshandelsstelle installiert ist – und dann mit einem Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne CO2. Andere Länder sind schon heute wesentlich weiter: Schweden oder die Schweiz haben bereits CO2-Preise von rund 100 Euro pro Tonne. Das heißt, ein entscheidender Punkt wird sein, wesentlich schneller in Richtung 180 Euro je Tonne CO2 zu kommen. Damit würden wir annäherungsweise dem Verursacherprinzip gerecht werden.
Leider müssen wir von Seiten der Wissenschaft immer wieder feststellen, dass unsere Argumente von der Politik gehört, aber nicht umgesetzt werden. Man ist oft nicht mutig genug, klar zu benennen, was für eine nachhaltige Entwicklung erforderlich ist und welche Konsequenzen daraus heute zu tragen sind. Wir brauchen aber eine Bundesregierung, die das Klimathema zum Hauptthema macht und keine Angst hat vor Wählern oder Gelbwesten.
Woher kommt diese Angst? Hat der Klimaschutz auch das Potenzial, unsere Gesellschaft zu spalten?
Von Spaltung würde ich an der Stelle nicht reden. Natürlich gibt es Konflikte und Auseinandersetzungen, weil es Gewinner und Verlierer dieser Entwicklung geben wird. Wenn Öl, Kohle und Gas teurer werden, dann werden bestimmte Wirtschaftsbereiche nicht mehr so schnell wachsen. Aber es wird andere Bereiche geben, die massiv wachsen werden bzw. könnten. Im Augenblick geht es zum Beispiel in den Braunkohleregionen um Arbeitsplätze von 8.000 Menschen. Auf der anderen Seite sind derzeit 50.000 Arbeitsplätze in Gefahr, weil der Ausbau der Windenergie massiv zurückgefahren worden ist. Es ist also auch immer eine Abwägung von verschiedenen Entwicklungen, die man gesellschaftlich diskutieren muss. Und wir müssen positive Beispiele und Bilder besser kommunizieren. Es gibt beispielsweise im Bereich der Wasserstofftechnologie oder Recyclingstoffe-Architektur ausgezeichnete Entwicklungen. Das heißt also: Anstatt Ängste zu schüren, müssen wir Zuversicht stärken.
Das vollständige Interview und weitere Informationen zur Ernährungswende und nachhaltigkeitsrelevanten Entwicklungen in Berlin und Brüssel finden Sie im aktuellen Politikmonitor.
Titelbild: Thomas Richter, unsplash