Mobilität: Zwischen Aufbruch und Tradition

In diesem Jahr feiert das Fahrrad seinen 200. Geburtstag. Wie steht es heute um das Radl: Hat es ausgedient oder ist es auf der Überholspur unterwegs? Nicht nur München hat sich das Ziel gesetzt „Radlhauptstadt“ zu werden. Auch in anderen Städten wie Berlin oder Hamburg werden Radwege ausgebaut und neue Anreize für Radfahrer geschaffen. Zusätzlich entstehen neue Mobilitätskonzepte. Findet in Deutschland eine Verkehrswende statt, für Klima und Umwelt und gegen viele PS?
Laut einer Studie des Bundesumweltministeriums (BMUB) aus dem Herbst des vergangenen Jahres steht Umweltschutz in der Rangordnung der aktuell wichtigsten Probleme an dritter Stelle, hinter Zuwanderung und Kriminalität. 99 Prozent der 2.000 Bundesbürger ab 14 Jahren, die im August und September 2016 zum Umweltbewusstsein der Deutschen befragt wurden, stimmten der Aussage zu, dass für sie eine intakte Umwelt unbedingt zum Leben dazu gehört.
Besonders den Klimaschutz sehen viele als große Herausforderung, die mit einem „Weiter so“ nicht zu meistern ist. Eine wirksame Klimaschutzpolitik, Initiativen der Wirtschaft sowie die Veränderungsbereitschaft jedes Einzelnen sind zentrale Voraussetzungen für eine Reduzierung der Umweltbelastungen. Am 12. Juni 1817 von Karl Freiherr von Drais in Mannheim erfunden, scheint das Fahrrad mit seinen 200 Jahren als klimaschonendes und umweltfreundliches Fortbewegungsmittel heute populärer und wichtiger denn je. Das wachsende Verkehrsaufkommen verändert das Mobilitätsverhalten jedes Einzelnen. Vor allem in den Großstädten wird das Fahrrad für viele zunehmend eine Alternative zum Auto, um schnell von A nach B zu kommen. Rund die Hälfte der Befragten, die täglich oder mehrmals in der Woche mit dem Auto zur Arbeit fahren, können sich vorstellen, häufiger selbst in die Pedale zu treten oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Dabei ermöglicht das ursprünglich als Laufrad konzipierte Fahrrad, anders als Sharing-Konzepte oder der öffentliche Nahverkehr, individuelle und flexible Mobilität.

Inkonsequenz bremst Wandel aus
Klingt doch alles wunderbar – möchte man meinen. Allem Umweltbewusstsein und Veränderungszusagen der Deutschen zum Trotz, sind die Treibhausgasemissionen 2016 in Deutschland erstmals seit 1990 wieder gestiegen. Und die Ursache dafür liegt vor allem im Verkehr. Der Wandel im Bewusstsein und in den Einstellungen der Menschen zu Umwelt und Umweltschutz führt nicht unbedingt zu einer tatsächlichen Verhaltensänderung. Dass dazwischen eine Lücke klafft, zeigen auch die Ergebnisse der oben genannten Studie des BMUB. Obwohl 91 Prozent deutlich gemacht hatten, dass das Leben besser wäre ohne auf das Auto angewiesen zu sein, fahren 70 Prozent aller Befragten täglich oder mehrmals die Woche mit dem Wagen. Zwar wollen die Deutschen gerne Fahrrad fahren, aber trotzdem kaufen sie immer mehr Autos mit hohem Verbrauch. Der gesamte Autoabsatz legte im März 2017 bundesweit um 11,4 Prozent, auf knapp 359.000 zu, wovon lediglich 2.191 Elektroautos waren. Alternative Antriebe fristen also noch immer ein Nischendasein. Alles in Allem, verringert E-Mobilität zwar Lärm und Abgasemissionen, löst aber nur bedingt das allgemeine Kapazitätsproblem auf den Straßen.

Barrierefrei nutzen und wechseln
Nutzen statt Besitzen – Carsharing hätte nicht nur einen positiven ökologischen Effekt. Die gemeinsame Nutzung von Autos wird auch dazu beitragen das Verkehrschaos und das allgemeine Kapazitätsproblem in den Städten zu verringern. Jedes Carsharing-Auto ersetze Erhebungen des Bundesverbands Carsharing zufolge, vier bis zehn Privat-Pkw. Der Lebensstil der jungen, urbanen Generation ist bereits zunehmend geprägt vom Konzept der „Share Economy“. Basierend auf einer Umfrage des Digitalverbands BITKOM Anfang dieses Jahres, hätten in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen bereits 59 Prozent von einem Sharing-Angebot Gebrauch gemacht.
Zukunftsfähige Mobilitätskonzepte müssen eine reibungslose Intermodalität ermöglichen. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln – ob Bus, Bahn, Fahrrad oder Auto – muss für den Nutzer so einfach und barrierefrei wie möglich gestaltet werden. Hier ist die Politik gefragt, die diese Mobilitätsstrukturen schaffen und für die Verkehrsteilnehmer attraktiv gestalten muss. Die vom Umweltministerium für das laufende Jahr zugesagten 25 Millionen Euro für Fahrradschnellwege, die Pendler dazu bewegen sollen aufs Fahrrad umzusteigen, sind ein wichtiger Baustein in der Umgestaltung des urbanen Verkehrsraums. Denn laut Bundesverband Carsharing funktioniere Carsharing vor allem dort gut, wo es neben einem nutzerfreundlichen öffentlichen Nahverkehr gut ausgebaute Radwege gibt.

Appell an Spieltrieb und Wettkampfgeist
Das alles klingt vielversprechend und durchaus umsetzbar. Dennoch siegt trotz aller Möglichkeiten, trotz jeglicher Vernunft und Einsicht oft die Bequemlichkeit. Der Mensch will als Gewohnheitstier dazu motiviert werden seine Komfortzone zu verlassen. Eine Idee mehr Menschen, speziell in Städten, aufs Fahrrad zu bringen kommt von Bike Citizens. Der Ansatz richtet sich an die Spielfreude und den Wettkampfgeist der Nutzer. Spielmechaniken und Gamification-Ansätze, die sich alleine oder im Team nutzen lassen, sollen zum Radfahren motivieren und spielerisch Anreize setzen. Das Unternehmen mit Sitz in Graz und Berlin hat hierzu eine App entwickelt, die für die Online-Routenplaner das Wissen von Fahrradboten nutzt. Anstatt sie über Hauptstraßen zu lotsen, werden Radfahrern Radwege und Nebenstraßen angezeigt. Dabei werden Ziele vorgegeben und Belohnung ausgesetzt anhand derer sich Radfahrer in Teams oder allein mit einem anderen Team oder Freund messen können. Das Programm wird bereits erfolgreich in verschiedenen, größeren Städten darunter München, Berlin und Bremen getestet. Verknüpft mit dem Bike Benefit Programm, einer Art „miles & more“-Programm für Radfahrer, lassen sich Vergünstigungen im innerstädtischen Einzelhandel erradeln.
Wenn es in Zukunft gelingt diese Motivationsfaktoren und das hohe Umweltbewusstsein der Deutschen zu vereinen, wird sich der Verzicht auf das Auto nicht nur positiv auf unsere Umwelt auswirken. Auch Gesundheit und Fitness werden gefördert und der Geldbeutel geschont. Drais‘ Erfindung des Fahrrads vor fast 200 Jahren war damals revolutionär und liegt bis heute zweifellos im Trend.

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