Schon Helmut Schmidt war von Lobbyisten extrem genervt. Inzwischen ist ihre Zahl höher denn je. Man rechnet mit rund 1.000, die mittels Hausausweis direkten Zugang zu den Büros der 630 Abgeordneten im deutschen Bundestag haben. Der Einfluss der Wirtschaft und der Verbände ist groß und selten transparent, der Verdacht auf Gemauschel mithin nicht unberechtigt.
Die neugegründete NGO InfluenceMap kam beispielsweise aufgrund ihrer Recherchen zum Schluss, dass 45 Prozent der 100 größten Industriekonzerne weltweit Gesetze zum Klimaschutz aktiv bekämpfen, aber nur sehr wenige die klimapolitischen Anstrengungen ihrer Regierungen unterstützen. Fairerweise sei hier aber noch angemerkt, dass die NGOs ihre Interessen inzwischen ähnlich professionell vertreten und ebenfalls mit harten Bandagen kämpfen.
Anfang November nahm die Organisation Lobbycontrol mit einer Aktionswoche ein weithin unbeachtetes Feld des Lobbyismus ins Visier: Die Aktivitäten der Wirtschaft in den Schulen. Immerhin bieten von den 20 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands 16 kostenlose Unterrichtsmaterialien an, wie das Magazin „Der Spiegel“ recherchiert hat, das daraufhin beherzt schimpfte, die Wirtschaft nutze die Finanznot der Schulen, um Einfluss auf den Lehrstoff zu bekommen. Sätze wie „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass Schokolade glücklich macht“ haben in ernsthaft für schulischen Unterricht gedachten Materialien natürlich nichts zu suchen. Auch Lernmittel des Verbands der Automobilindustrie, die Schüler über die deutsche Clean-Diesel-Technologie informieren und konstatieren, diese habe „große Schritte bei der Verbrauchs- und Emissionseinsparungen möglich gemacht“, fordern Kritik geradezu heraus.
Aber müssen deshalb auch Initiativen wie „My Finance Coach“ oder „[email protected]“, die einen Beitrag zur finanziellen und wirtschaftlichen Allgemeinbildung leisten wollen, als obsolet gelten? Die Diskussion über den Einfluss der Wirtschaft an Schulen ist nicht neu. Und sie hat zwei Seiten: Tatsächlich machen sich manche Unternehmen die staatliche Not zunutze, um sich mit fragwürdigen Lernmaterialien schon früh in den Köpfen zu positionieren. Andererseits ist die Wirtschaft, die für eine Exportnation wie Deutschland eine so eminent wichtige Rolle spielt, in den oft veralteten Lehrbüchern ein „blinder Fleck“. Und dafür, dass die finanzielle Allgemeinbildung in Deutschland unterentwickelt ist, gibt es Belege genug. So konnten nur 53 Prozent der Deutschen in einer von der OECD in Auftrag gegebenen Befragung drei einfache Fragen zur Rolle von Zins, Inflation und Streuung bei der Geldanlage richtig beantworten (http://www.capital.de/meinungen/reden-wir-ueber-geld-3805.html). Wer den Umgang mit Geld nicht von klugen und wohlhabenden Eltern lernen kann, hat ein echtes Handicap.
Es geht darum junge Menschen auf ihre Zukunft vorzubereiten. Wirtschaft gehört dazu – nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Denn wirtschaftliches Know-how ist relevant, und die Mittel des Staates bleiben begrenzt. Umso bedauerlicher, dass die Unternehmen mit marketingorientierten Unterrichtsmaterialien die Glaubwürdigkeit ihres sozialen Engagements und damit ihre Akzeptanz in der Gesellschaft selbst unterminieren. Zumal sie beim Kerngeschäft knallhart sind und ein Vertrauensaufbau durchaus in ihrem Interesse wäre. So zeigt die von der eingangs erwähnten NGO erstellte InfluenceMap beispielsweise, dass deutsche Autohersteller deutlich aktiver gegen Klimaschutz lobbyieren als ihre japanischen Konkurrenten.
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