„In China läuft vieles gleichzeitig“

Interview mit Jens Hildebrandt, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China für Nordchina.

Darüber, wie China Wachstum und Umweltschutz vereinbaren will, sprachen wir mit Jens Hildebrandt, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Peking und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China für Nordchina. Dabei ging es auch um die Chancen deutscher Unternehmen und den Umgang mit der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht.

Wie beurteilen Sie Chinas wirtschaftlichen Aufstieg aus Nachhaltigkeitsperspektive? Sind Wachstum und Umweltschutz Gegensätze?

Chinas Ambitionen im Bereich der Klimaneutralität als ein Teil der Nachhaltigkeitsperspektive sind bereits fester Bestandteil der letzten Fünfjahrespläne. Diese legen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen fest und geben den Weg für die weitere Entwicklung des Landes vor. Insofern sind Wachstum und Umweltschutz aus chinesischer Sicht keine Gegensätze. In China läuft vieles gleichzeitig. Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit sind schon lange ein Thema in China, spätestens seit den Nullerjahren. Nachhaltigkeit im Sinne von Umweltschutz sind wichtig für Stabilität und stehen in China im Einklang mit dem chinesischen Ziel der Mehrung des Wohlstandes. Die erstarkende Mittelschicht in Chinas Großstädten fragt zudem immer mehr nachhaltige Produkte nach. Ein Trend zu bewussterem Konsum und umweltfreundlichem Verhalten ist somit nach und nach auch in Chinas Großstädten zu beobachten.

Wir lesen in deutschen Medien oft von Luftverschmutzungen in Chinas Großstädten. Wie geht das Land damit um, und können deutsche Unternehmen helfen?

2013 erklärte die chinesische Regierung mit dem Start eines nationalen Aktionsplans ihren Kampf gegen Umweltverschmutzung. Seither hat sich die Situation um einiges verbessert, und das Thema Luftverschmutzung ist etwas aus dem Mittelpunkt gerückt. Dennoch prägen Umweltprobleme nach wie vor den Alltag, bei­spielsweise hat Peking nicht nur mit Luft, sondern eben­falls mit Wasser- und Bodenverschmutzung zu kämpfen.

@Stefanie Thiedig, Kulturgut

Chinas neue und ehrgeizige Ziele, den Höhe­punkt der Kohlenstoffemissionen vor 2030 zu erreichen und vor 2060 kohlenstoffneutral zu werden, bieten viel­versprechende neue Marktchancen — auch für die deutsch-chinesische Zusammenarbeit. Die deutsche Wirtschaft ist in diesem Bereich hervorragend aufge­stellt, und deutsche Unternehmen wollen aktiv bei der Ausgestaltung des Fahrplans der chinesischen Regie­rung zur Dekarbonisierung mitwirken. Dazu müssen weiter indirekte Marktzugangsbarrieren konsequent beseitigt und für alle Wirtschaftsakteure auf dem chi­nesischen Markt wirklich faire und transparente Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.

Mit ihrer langjährigen Erfahrung auf dem chine­sischen Markt können deutsche Unternehmen innova­tive und maßgeschneiderte Lösungen anbieten, die für die lokalen Marktbedingungen in vielen Industriezwei­gen geeignet sind. Deutsche Unternehmen können bei­spielsweise auf lokale Anforderungen angepasste Lösungen zur Effizienzsteigerung und Umrüstung von chinesischen Industrieanlagen anbieten. Einen wichti­gen Beitrag zur Verbesserung der Luftverschmutzung in chinesischen Ballungszentren können auch emissions­arme und energiesparende Technologien für den Hei­zungs- und Gebäudesektor sowie Lösungen für einen nachhaltigeren Verkehrssektor aus Deutschland leisten.

Welche Rolle nehmen Energie- und Umweltfragen in Ihrer Arbeit in Beijing ein?

Themen rund um Energie und Umwelt bieten deutschen Unternehmen vielversprechende Chancen und werden immer stärker von unseren Mitgliedern nachgefragt. Viele deutsche Unternehmen bieten Produkte und/oder Services im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit an. Hier sehen wir große Marktchancen und Kooperationsmöglichkeiten mit der chinesischen Seite.

Seit über zehn Jahren unterstützen wir deutsche Unternehmen, vor allem KMUs, beim erfolgreichen Eintritt in Chinas grüne Märkte. Mit einer eigenen Abteilung unter der Marke „econet china“ bieten wir eine Reihe an Dienstleistungen, wie zum Beispiel strategische Marketing-Partnerschaften, Networking-Events, maßgeschneiderte Aktivitäten oder technische Trainings. Besonders wertvoll für Unternehmen sind unsere Roundtables und Workshops mit der chinesischen Regierung, um beide Seiten zusammenzubringen und mit aktuellen Informationen zu versorgen.

Darüber hinaus veröffentlichen wir mit unserem Fachmagazin, dem econet monitor, regelmäßig detaillierte Industrieberichte aus den Bereichen Bauen, erneuerbare Energien, Klimaschutz, CO2-schonende Entwicklungsstrategien sowie zu allgemeinen Umweltthemen in China.

Was raten Sie deutschen Unternehmen im Hinblick auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?

Das Sorgfaltspflichtengesetz, welches im Bundestag am 11. Juni 2021 verabschiedet wurde, verpflichtet deutsche Unternehmen dazu, die Einhaltung der Menschenrechte im eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Lieferanten zu gewährleisten. Die Anforderungen des Gesetzes sind zwar frühestens 2023 umzusetzen, allerdings ist der Vorbereitungsaufwand sehr hoch. Von daher ist es angezeigt, das Thema bereits jetzt in Angriff zu nehmen. Das gilt nicht nur die Unternehmen ab einer bestimmten Größe, auf die das Gesetz zutrifft, sondern für alle Unternehmen, da diese mit Sicherheit über ihre Kundenbeziehungen ebenso eingebunden werden.

Wir als AHK sehen uns in der Rolle, die Unter­nehmen bei diesem Prozess umfassend zu begleiten. Beispielsweise informieren wir regelmäßig über den aktuellen Stand der Umsetzung oder lassen Experten darüber sprechen. Auch für den Austausch der Unter­nehmen bieten wir eine Plattform und geben die Best Practices der Unternehmen weiter. Für die Umsetzung/ Compliance in China haben wir zudem als AHK im Juni einen Muster-Lieferantenkodex erarbeitet.

Ziel des Muster-Lieferantenkodexes ist es, den deutschen Unternehmen und hier insbesondere den klei­nen und mittelständischen Firmen, die noch nicht über ein dezidiertes Compliance-Managementsystem verfü­gen, ein praktisches Werkzeug für den Einsatz in China an die Hand zu geben. Der Musterkodex liegt in engli­scher und chinesischer Sprache vor und kann damit auch als Kommunikationsinstrument gegenüber Liefe­ranten fungieren, wenn es darum geht, sich über die gestiegenen Compliance-Anforderungen auszutauschen.


Das Interview ist Teil des alle zwei Monate erscheinenden akzente Politikmonitors. Darin verfolgen wir die Diskussionen und Veranstaltungen rund um Nachhaltigkeit in Brüssel und Berlin, greifen Impulse auf und geben Einblicke. Die neuesten Ausgaben des Politikmonitors stehen Ihnen hier zum Download bereit.


Titelbild: Denis Nevozhai

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