EU-Richtlinienvorschlag zur unternehmerischen Sorgfalt – Revolution oder Evolution?

Das Ringen hat ein Ende: Nach mehrfachem Verschieben der Veröffentlichung, hat die EU-Kommission am 23. Februar 2022 nun ihren Richtlinienentwurf zur EU-Lieferkettenregulierung vorgelegt.

  • Um was geht es? Am 23. Februar 2022 hat die Europäische Kommission den lange erwarteten Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht von Unternehmen („Directive on corporate sustainability due diligence“, im Weiteren „Richtlinienvorschlag“) veröffentlicht.
  • Ziel des Richtlinienvorschlags der EU? Europäische Unternehmen dazu zu verpflichten, Menschenrechte und Umweltstandards im eigenen Geschäftsbereich und entlang ihrer Lieferkette zu achten.  
  • Wichtige Unterschiede zum deutschen Pendant? Ein erweiterter Anwendungsbereich, der tiefere Blick in die Lieferkette, die verstärkte Einbeziehung von Umweltaspekten, die darin angedachte zivilrechtliche Haftung und umfassendere Pflichten der Geschäftsleitung.
Langes Ringen um den Richtlinienvorschlag  

Der Entwurf der Kommission hat einen langen Weg hinter sich. Beginnend mit einer Resolution im März 2021 hatte das EU-Parlament die EU-Kommission mit großer Mehrheit dazu aufgefordert, einen Legislativvorschlag zu machen – zur verbindlichen unternehmerischen Sorgfaltspflicht in der Wertschöpfungskette. Der kam auch, wurde aber zwei Mal abgelehnt. Der kommissionsinterne Ausschuss für Regulierungskontrolle, das sogenannte Regulatory Scrutiny Board, bemängelte die Folgenabschätzung der zuständigen Kommissionsdienststellen als zu vage, die Handlungsoptionen seien zu limitiert, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde nicht gewahrt. Aktivist:innen und NGOs befürchteten eine „Verwässerung“ der ursprünglichen Resolution des Parlaments zugunsten der Wirtschaft. Die und ihre nahen Verbände hingegen warnten, nicht Unmögliches zu fordern. So wurde dem bis dahin verantwortlichen EU-Justizkommissar Didier Reynders, der Binnenmarktkommissar Thierry Breton an die Seite gestellt, um die Praktikabilität der Vorschläge zu evaluieren. Das sorgte für Furore – immerhin gilt Breton als wirtschaftsfreundlich. Am 23. Februar 2022 war es nun aber so weit: Der erste Entwurf für eine Richtlinie („Directive on corporate sustainability due diligence“) wurde vorgestellt. Und er geht weiter als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

EU-Richtlinienvorschlag vs. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz 

Mit ihrem Richtlinienvorschlag will die EU-Kommission einen Flickenteppich verschiedener Regeln in ihren Mitgliedstaaten verhindern – ein Flicken wie etwa das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das im Juli 2021 verabschiedet wurde und am 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Auch das deutsche Gesetz will Menschrechts- und Umweltstandards in unternehmerischen Geschäftspraktiken etablieren. Doch monierte beispielsweise EU-Justizkommissar Didier Reynders am LkSG, dass es den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte an vielen Stellen nicht in ausreichendem Maße gerecht werden würde. So überrascht es wenig, dass der Richtlinienvorschlag der EU über die Anforderungen des LkSGs hinausgeht.  

Die wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum LkSG:

1. Weitaus mehr Unternehmen betroffen 

Die Zahl der im Richtlinienvorschlag betroffenen Unternehmen ist im Vergleich zu der vom Europäischen Parlament 2021 diskutierten Resolution erheblich reduziert – verglichen mit dem LkSG (rund 5.700 Unternehmen) ist sie dennoch deutlich ausgeweitet. Laut Kommission betrifft der Richtlinienvorschlag etwa 13.000 Unternehmen in der EU und 4.000 Unternehmen aus Drittländern.

  • Die EU-Richtlinie soll für europäische Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von 150 Mio. Euro gelten.
  • Nicht-EU-Unternehmen sind betroffen, wenn sie einen Umsatz von mehr als 150 Mio. Euro auf dem EU-Markt erzielen.
  • Zwei Jahre nach Einführung des Gesetzes sollen EU-Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von über 40 Mio. Euro betroffen sein – wenn sie mindestens 50 Prozent dieses Umsatzes in einem als risikoreich definierten Sektor erwirtschaften – also etwa in der Landwirtschaft, Textilindustrie oder im Mineraliensektor.
  • Nicht-EU-Unternehmen, die mehr als 40 Mio. Euro Umsatz auf dem EU-Markt erzielen sowie mindestens 50 Prozent ihres weltweiten Umsatzes in einem der als risikoreich definierten Sektoren erwirtschaften, sind auch zwei Jahre nach Gesetzeseinführung betroffen.
  • Kleine und mittlere Unternehmen fallen nicht direkt in den Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Richtlinie, können aber kaskadierend betroffen sein.

Das LkSG hingegen gilt ab 2023 für Unternehmen, die mindestens 3.000 Mitarbeitende und ihren Sitz in Deutschland haben und ab 2024 für Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten.

2. Erweiterter Blick auf indirekte Zulieferer  

Die Kommission will die europäischen Unternehmen dazu verpflichten, ihre gesamte Lieferkette daraufhin zu kontrollieren, ob ihre Zulieferer gegen Umwelt- und Menschenrechte verstoßen.  

  • Die Sorgfaltspflichten der Unternehmen erstrecken sich grundsätzlich auf alle „etablierten“ direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen des Unternehmens.  
  • Ob es sich um eine „etablierte“ Beziehung handelt, bestimmt Intensität oder Dauer. Die Art der Geschäftsbeziehungen, die als „etabliert“ eingestuft werden, ist mindestens jährlich neu zu bewerten. 

Im LkSG umfassen die Sorgfaltspflichten ebenfalls das Handeln im eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber direkten und indirekten Zulieferern. Die Anforderungen an die Unternehmen sind jedoch abgestuft, insbesondere nach dem Einflussvermögen auf den Verursacher der Menschenrechtsverletzung sowie nach den unterschiedlichen Stufen in der Lieferkette. Das bedeutet etwa, dass die Sorgfaltspflichten bei indirekten Zulieferern nur anlassbezogen gelten – und nur, wenn das Unternehmen Kenntnis von einem möglichen Verstoß erlangt.

3. Umweltaspekte verstärkt einbezogen 

Im Richtlinienvorschlag werden nachteilige Umweltauswirkungen, die im Widerspruch zu wichtigen internationalen Umweltkonventionen sowie gegen ausdrücklich definierte Standards stehen, verstärkt einbezogen.  

  • Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem Umsatz von 150 Millionen Euro müssen einen Plan verabschieden, der darlegt, ob Klimarisiken vorhanden sind und sicherstellt, dass Geschäftsmodell und Strategie mit der Begrenzung der globalen Erwärmung auf das im Pariser Abkommen festgelegte 1,5 °C-Ziel vereinbar sind.  
  • In den Fällen, in denen der Klimawandel als Risiko eingestuft wird, sollen Emissionsreduktionsziele in die Pläne aufgenommen werden.  

Im LkSG hingegen sind Umweltbelange nur relevant, wenn sie zu negativen Auswirkungen auf Menschenrechte führen.

4. Ähnlicher Sorgfaltspflichtenprozess 

Die vorgeschlagene Richtlinie stellt Anforderungen an die menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflicht, die dem deutschen LkSG sehr ähnlich sind. 

  • Gemeinsame Bausteine sind die Grundsatzerklärung, die Risikoanalyse, Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie Dokumentationspflichten.  
  • Das Monitoring der Wirksamkeit der eigenen Tätigkeiten und Maßnahmen (Artikel 10) ist im EU-Richtlinienvorschlag expliziter hervorgehoben.  
  • Das LkSG ist ausführlicher im geforderten Risikomanagement.  
  • Es handelt sich bei beiden Vorschriften nicht um einen einmaligen Prozess, sondern um einen sich wiederholenden Kreislauf verschiedener Verfahrensschritte, die aufeinander aufbauen und sich aufeinander beziehen.  

5. Stärkere Verantwortung der Geschäftsleitung 

Der Richtlinienvorschlag enthält, wenn auch im Vergleich zur ursprünglichen Resolution des Parlaments abgeschwächt, Geschäftsleitungspflichten der betroffenen Unternehmen.  

  • Es gilt im besten Interesse des Unternehmens zu handeln – und bei Entscheidungen Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen.  
  • Die ursprünglich angedachte Stärkung der Nachhaltigkeitskompetenz im Vorstand ist im Richtlinienvorschlag nicht mehr vorgesehen.  
  • Dennoch fordert die Kommission Unternehmensleiter:innen mit ihrem Richtlinienvorschlag dazu auf, Sorgfaltspflichten für Menschenrechte, den Klimawandel und andere Umweltauswirkungen einzubeziehen. 

Der Richtlinienvorschlag der EU könnte es also im Gegensatz zum deutschen Gesetz schaffen, Nachhaltigkeit in der Unternehmensstrategie zu stärken.

6. Jetzt auch mit zivilrechtlicher Haftung

Obwohl der Vorschlag hinter der Resolution des EU-Parlaments aus dem März vergangenen Jahres zurückbleibt, ist die Haftung deutlich umfassender als im deutschen LkSG:

  • Von den Mitgliedstaaten benannte nationalen Aufsichtsbehörden sollen über Ermittlungsbefugnisse und eine potenzielle zivilrechtliche Haftung verfügen – und wären befugt, die Einhaltung der vorgeschlagenen Richtlinie auf eigene Initiative oder wegen begründeter Bedenken zu prüfen. Im Falle eines Verstoßes gegen die – zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen – nationalen Vorschriften, müssten sie dem betreffenden Unternehmen eine Frist zur Ergreifung von Abhilfemaßnahmen einräumen. Bei Nichteinhaltung können sie auf dem Umsatz beruhende Geldbußen verhängen. Die behördlichen Sanktionen sollen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und die Bemühungen des Unternehmens um Einhaltung der Vorschriften berücksichtigen. 
  • Neben den nationalen erlassenen Vorschriften sieht der Richtlinienvorschlag keine zusätzliche Durchsetzungsregelung für den Fall vor, dass die Geschäftsführer:innen ihren Verpflichtungen aus dem Entwurf nicht nachkommen. 
  • Der Richtlinienvorschlag sieht eine zivilrechtliche Haftungsregelung vor, die es Opfern ermöglicht, Unternehmen wegen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden auf Schadenersatz zu verklagen – für Schäden, die durch angemessene Sorgfaltsmaßnahmen hätten vermieden werden können. So sollen potenzielle schädliche Auswirkungen verhindert oder tatsächliche schädliche Auswirkungen beendet werden. 
  • Die Beweislast bleibt jedoch bei den Rechteinhaber:innen bzw. überlässt eine Beweislastregelung den Mitgliedsstaaten.  

Beim LkSG besteht ausdrücklich keine zivilrechtliche Haftung – einer der großen Kritikpunkte. Das deutsche Gesetz sieht Bußgelder von bis zu zwei Prozent des Vorjahresumsatzes vor. Ebenso kann es zu einem Ausschluss bei öffentlichen Ausschreibungen von bis zu drei Jahren kommen.  

Was lange währt, wird endlich gut?  

Sollten die EU-Staaten und das Europaparlament dem Richtlinienvorschlag zustimmen, wäre Deutschland verpflichtet, das nationale Recht an EU-Recht anzupassen – und müsste damit nachbessern.  

Der Entwurf wird nun in mehreren Lesungen von Parlament und Rat diskutiert und überarbeitet. Nach Verabschiedung haben die Länder zwei Jahre Zeit, um die Regelung in nationales Gesetz zu überführen. Kleinere Unternehmen, die in Hochrisikosektoren tätig sind, hätten eine weitere zweijährige Übergangsfrist. 

Fazit: Bei dem Richtlinienvorschlag handelt es sich eher um eine Evolution als um die im März 2021 angedachte Revolution der Resolution.


Bild: Christian Lue | Unsplash

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