Die Entwicklungen rund um das Thema Sustainable Finance haben in den letzten ein bis zwei Jahren zu einer neuen Relevanz von ESG-Ratings und deren Ergebnissen geführt. Waren sie früher vor allem ein Vehikel, um langfristig orientierte, institutionelle Investoren zu gewinnen (z.B. Pensionsfonds), werden sie heute grundsätzlich auch von Mainstream-Investoren für die Bewertung von Unternehmen zurate gezogen.
Investoren und Politik als Treiber
Diese Entwicklung fußt überwiegend auf einer gestiegenen Marktnachfrage nachhaltiger Geldanlagen und zunehmenden regulatorischen Anforderungen rund um den EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums. In der Konsequenz beschäftigen die Rating-Ergebnisse von ISS ESG, Sustainalystics oder MSCI ESG mittlerweile auch Vorstandsebenen kapitalmarktorientierter Unternehmen.
In Deutschland stiegen Investitionen in nachhaltigen Fonds im letzten Jahr bei privaten Investoren um 96 Prozent und bei institutionellen Investoren um 27 Prozent1. Auf europäischer Ebene führen die Umsetzungen der EU Taxonomie bei Unternehmen sowie die EU Offenlegungsverordnung und die Änderung der MIFID II Richtlinie ab 2021 bei Finanzinstituten und Asset Managern zur Verselbständigung des Themas.
ESG-Daten als Grundlage für Ratings
Für die beiden treibenden Faktoren bedarf es zuverlässiger ESG-Daten, welche Informationen über die Leistung von Unternehmen hinsichtlich der Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung geben. Diese werden von den Rating-Agenturen ermittelt, bewertet und anschließend zu einem Gesamtscore für das geratete Unternehmen zusammengefügt. Mit diesem Score soll abgebildet werden, in welchem Ausmaß das Unternehmen im Verhältnis zur Branche sogenannten ESG- oder nichtfinanziellen Risiken ausgesetzt ist.
Konsolidierungswelle erfasst Rater
Mittlerweile ist die Berücksichtigung dieser ESG-Risiken Standard bei allen Mainstream-Investoren geworden. Es wird erwartet, dass der Markt für spezialisierte ESG-Ratings bis 2025 auf rund 500 Millionen Dollar wachsen wird. Das hat zu einer Welle der Konsolidierung bei den etablierten Ratingagenturen geführt.
So bauen beispielsweise die Big Three (S&P, Moody’s und Fitch) nicht nur ihr eigenes ESG-Know-how auf, sondern haben teilweise spezialisierte Anbieter übernommen (Moody’s ist Mehrheitsanteilseigner bei vigeo Eiris, S&P hat Trucost und RobecoSAM übernommen). Auch MSCI (eigentlich ein Anbieter von Aktienindizes und nicht von Ratings) führt mittlerweile ESG-Bewertungen aller in seinen Indizes gelisteten Unternehmen durch.
Die letzten namhaften europäischen und originären ESG-Ratinganbieter Oekom Research (Deutschland) und Sustainalytics (Niederlande) wurden vom US-amerikanischen Finanzinformations- und Analyseunternehmen ISS (2019) bzw. Morningstar (2017 & 2020) übernommen.
Varianz in den Ergebnissen
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Methoden der Ratings unterscheiden: Ratings wie CDP verlangen von den Unternehmen die Bereitstellung aller Informationen über ein Questionnaire, an dem sie optional teilnehmen können (aktiv). Die meisten ESG-Ratings jedoch nehmen eine unabhängige Bewertung vor und räumen den Unternehmen teilweise ein, diese zu kommentieren (passiv). Während dieser Kommentierungsphase können die Unternehmen durch die Bereitstellung weiterführender Informationen Einfluss auf das Rating nehmen – mit unterschiedlichem Erfolg.
Ein wesentlicher Faktor, der zu stark voneinander abweichenden Ratingergebnissen führt, ist der Umgang mit fehlenden Daten. Die dahinterliegenden Leistungen werden von den Rating-Agenturen entweder mit der schlechtesten Bewertung geratet, geschätzt oder anhand gesetzlicher Bestimmungen hergeleitet. Auch wenn Ratingagenturen wie MSCI ESG und Sustainalytics mittlerweile Einblicke in ihre Methoden bieten und auch Bloomberg ESG dies angekündigt hat2, vertrauen institutionelle Investoren noch vorwiegend auf eine individuelle Auswertung der ESG-Daten, die über die eigentlichen Ratingergebnisse hinausgehen.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Die zunehmende Bedeutung von ESG-Faktoren erhöht den Druck auf die Investor Relations und CR-Abteilungen, ihre Unternehmen am Kapitalmarkt und auf Roadshows als attraktives Investment auch aus ESG-Perspektive zu positionieren. Die Herausforderung beruht dabei auf einer – trotz Marktkonsolidierung – Vielzahl an Ratings, die bearbeitet und kommentiert und deren unterschiedlichen Methoden, Kriterien und Informationsanforderungen berücksichtigen werden müssen.
Aufgrund der Vielzahl der ESG-Ratings und deren Anforderungen sollten Unternehmen frühzeitig entscheiden, auf welche Ratings sie ihre Anstrengungen fokussieren. Denn eine sehr gute Performance in einem Rating korreliert nicht zwangsläufig mit guten Ergebnissen in anderen Ratings. Hierbei sollte geprüft werden, welche ESG-Ratings eine hohe Reputation bei Investoren der jeweiligen Branche genießen.
Häufig empfehlenswert, in der Regel aber auch kostspielig, ist die Anschaffung sogenannter Benchmark Reports zur Leistung des eigenen Unternehmens im Vergleich zur Peergroup. Auf dieser Basis lässt sich am einfachsten identifizieren, in welchen Bereichen sich das Unternehmen wie stark verbessern muss, um ein besseres Rating-Ergebnis zu erzielen.
Alternativ können die von den ESG-Ratings nach vollendeter Prüfung zugesandten Reports analysiert werden, um Quick-Wins und langfristige Verbesserungen der Ratingergebnisse zu identifizieren. Anschließend sind geeignete Maßnahmen zu entwickeln und zu priorisieren. Diese sollten innerhalb des Turnus bis zur nächsten Aktualisierung des jeweiligen Ratings umgesetzt werden, um im nächsten Jahr einen besseren Score zu erzielen.
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