ESG-Ratings als Maßstab für interne und externe Stakeholder
Mittlerweile sind ESG-Ratings ein fester Bestandteil der Nachhaltigkeitsarbeit in Unternehmen geworden. Große Kapitalmarktunternehmen ohnehin, aber auch familiengeführte Mittelständler haben die Orientierungsfunktion der Ratings für sich entdeckt. Denn diese liefern greifbare Indikatoren, um ihre Leistung bei Themen in Bezug auf Umwelt (Environment), Soziales (Social) oder Unternehmensführung (Governance) zu messen und zu vergleichen. Sie dienen als Kompass, um beispielsweise die eigene Nachhaltigkeitsstrategie und -Governance auszurichten.
Investoren nutzen die den Ratings zugrunde liegenden Daten, um Ertrags- oder Risikohebel im Kontext von Nachhaltigkeit in ihre Allokationsmodelle einfließen zu lassen. So tragen Ratings dazu bei, Kapitalströme in nachhaltige Unternehmen zu lenken oder von „braunen“ Unternehmen abzuziehen. Damit sind sie ein entscheidendes Werkzeug für Sustainable Finance.
Der Markt für nachhaltige Geldanlagen wächst
ESG-Rating-Agenturen sind wegen der besseren Datenverfügbarkeit auf börsennotierte Unternehmen ausgerichtet. Die Leistungsindikatoren, die Rating-Agenturen erfassen und konsolidieren, liefern wichtige Kriterien für die Ausgestaltung der Portfolios – von Retail-Investoren bis hin zu den größten Vermögensverwaltern der Welt. Dabei unterscheiden sich nachhaltige von traditionellen Anlagestrategien – beispielsweise indem erstere risikominimierende Eigenschaften oder Umsatzpotenziale von Nachhaltigkeit einpreisen. Solche Anlagekonzepte sind längst fester Bestandteil des Kapitalmarkts. Ob durch Positiv- oder Negativ-Screening oder die allgemeine Berücksichtigung von ESG-Daten in einer Risikoanalyse: Der Markt für nachhaltige Geldanlagen wächst stark und ist längst keine Nische mehr. Bloomberg schätzt, dass ESG-Anlagen bis 2025 den Wert von 53 Billionen US-Dollar übersteigen und damit ein Drittel der gesamten verwalteten Vermögenswerte („Assets“) ausmachen werden.
Für den Mittelstand relevant
Dabei werden ESG-Ratings nicht nur für börsennotierte Firmen, sondern auch für den privaten Mittelstand immer relevanter. Denn Mittelstandsbanken verwenden ESG-Ratings zunehmend, um die Kreditwürdigkeit ihrer Debitoren zu prüfen und Kredite zu qualifizieren. Zum einen, weil Banken so ihr Image gegenüber Kunden und Investoren pflegen können. Zum anderen sind laut Bain & Company die Kreditrisiken nachhaltiger Unternehmen niedriger – was wiederum zu geringeren Risikokosten führt. Im Ergebnis bieten sie zunehmend Finanzprodukte an, deren Konditionen – positiv, wie negativ – von der ESG-Rating-Performance abhängen. Allein der Markt für sogenannte „ESG-linked Loans“ ist nach Berechnungen von Bloomberg in Europa letztes Jahr um 80 Prozent auf 156 Milliarden Euro gewachsen. Der Vorteil für Unternehmen ist, dass sie durch niedrigere Prozentpunkte bei einer bestimmten Nachhaltigkeitsleistung bares Geld sparen. Und Investoren partizipieren an niedrigeren Risiken und/oder der nachhaltigeren Ausrichtung des finanzierten Unternehmens.
Kein Rating gleicht dem anderen
So sehr Ratings die Orientierung für alle Beteiligten verbessern, ist ein Vergleich oft nur mit Blick auf das jeweilige Rating sinnvoll. Durch unterschiedliche Methoden (vgl. Blog-Beitrag ESG-Ratings im Aufschwung) entstehen zum Teil deutliche Divergenzen. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens bewerten Rating-Agenturen die Kriterien unterschiedlich. So wurde zum Beispiel im Rahmen einer MIT-Studie ermittelt, dass Ratingagenturen bereits bei einfachen Informationen wie einer UN Global Compact Mitgliedschaft zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zweitens divergieren ESG-Ratings, weil Agenturen die verschiedenen ESG-Themen in unterschiedlicher Breite und Tiefe berücksichtigen. Drittens gewichten Rating-Agenturen ESG-Themen unterschiedlich. So stuft eine Rating-Agentur möglicherweise bestimmte Umweltthemen höher als andere ein.
Die Abweichungen ergeben sich u.a. aus der unterschiedlichen Stakeholder-Orientierung der Agenturen und ihren historisch gewachsenen Modellen. Es ist zudem herausfordernd, länderspezifische oder regulatorische Umstände angemessen zu berücksichtigen. Bei einem deutschen Unternehmen wird ggf. die Größe des Aufsichtsrats bemängelt oder dass keine Mitarbeiterbeteiligung möglich ist, obwohl bzw. weil das Unternehmen in Stiftungshand liegt.
Ansätze für ein ESG-Rating-Management
Für Unternehmen ergibt sich damit die Frage, welche Ratings sie für welche Zwecke nutzen möchten. Welche Ziele sollen mit der Verbesserung erreicht werden? Soll das Nachhaltigkeits-Reporting und das Rating-Ergebnis möglichst effektiv auf eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsstrategie einzahlen? Durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kunden, haben sich in den letzten Jahren drei verschiedene Ansätze für den Umgang mit ESG-Ratings herausgebildet.
Minimalist
In vielen Fällen können Unternehmen ihre ESG-Rating-Performance bereits mit minimalem Aufwand und kurzfristig steigern. Das gilt insbesondere für solche, die verschiedene Nachhaltigkeitsthemen aktiv vorantreiben. Vorhandene, aber noch nicht veröffentlichte Informationen oder Dokumente werden ergänzend kommuniziert und das Transparenzniveau gezielt gehoben. Dies kann im Rahmen der jährlichen Datenerfassung für den Nachhaltigkeitsbericht erfolgen oder davon losgelöst.
Advanced
Eine fundierte Auswertung der gewählten Ratings erlaubt nicht nur oben genannte „Quick-wins“, sondern auch das Ableiten von notwendigen Maßnahmen, um das Rating darüber hinaus zu verbessern. Kurz- bis langfristige Handlungsempfehlungen werden priorisiert und ggf. im Rahmen des Nachhaltigkeitsmanagements umgesetzt. Hier ist es bereits ratsam, den Dialog mit der ESG-Rating-Agentur zu suchen, um Ratinganforderungen und mögliche Interpretationsfragen besser zu verstehen.
Expert
Größeren Aufwand erfordert eine ESG-Rating-Strategie, die dann allerdings den Anforderungen interner und externer Stakeholder Rechnung trägt und Ratings als Mittel für bestimmte Zwecke begreift. Sie dienen dann der eigenen Positionierung, im Zusammenspiel mit zielgruppengerechten Kommunikationsformaten wie ESG-Reports, -Fact Sheets oder einem Sustainable Finance Framework. Ratings werden für günstigere Re-/Finanzierungsinstrumente sowie als Maßstab der eigenen Nachhaltigkeitsperformance eingesetzt.
Ob als Minimalist oder Expert – viele Unternehmen werden sich intensiver mit dem Potenzial von ESG-Ratings auseinandersetzen: Als Datenquelle für Investoren, um die Unternehmenskommunikation zu stärken oder die Nachhaltigkeitsarbeit im Unternehmen zu steuern.
Ausblick
Als wesentlicher Bestandteil des „European Green Deals“ beginnt in diesem Jahr in Teilen die Berichtspflicht zu Angaben der EU-Taxonomie – und damit gewissermaßen ein weiterer Ratingmechanismus. Er sieht vor, dass Unternehmen u.a. den prozentualen Anteil ihrer nachhaltigen Umsätze offenlegen. So entsteht ein de-facto Rating, durch das Vermögensverwalter ihre Anlagen steuern, Banken Kreditkonditionen bestimmen und Unternehmen finanzielle Accountability gewährleisten können.
Weitere Informationen dazu finden Sie in unserem Blog-Beitrag Taxonomie: Maßstab für Nachhaltigkeit.
Titelbild: Dan Asaki | Unsplash