Der Europäische Green Deal hat nicht weniger als einen fundamentalen Systemwandel zum Ziel, um Europa nachhaltiger, wettbewerbsfähiger und grüner zu machen. Der Plan soll vor allem auch dadurch gelingen, dass er das europäische Finanzsystem in Richtung Nachhaltigkeit umsteuert. Dies hat unmittelbare Konsequenzen für Unternehmen.
Der Green Deal umfasst einen Fahrplan mit 47 Maßnahmen auf europäischer Ebene, die teilweise einer nationalen Umsetzung bedürfen. Bei den meisten dieser Einzelpolitiken handelt es sich allerdings im ersten Schritt noch nicht um konkrete Gesetzesinitiativen, sondern um politische Strategien, die auf einen grundlegenden Systemwandel zielen. Flankiert werden diese Vorhaben von der Bereitstellung substanzieller öffentlicher Haushaltsmittel der EU und ihrer Mitgliedsstaaten einerseits sowie von einer beabsichtigten Reallokation privater Finanzmittel im Rahmen der sogenannten Sustainable Finance-Strategie.
Auch wenn ein Großteil der Einzelpunkte des Green Deals und der Sustainable Finance-Strategie in ihren Details noch offen sind, zeichnen sich mindestens drei große Linien ab, auf die Unternehmen sich unabhängig von ihrer Branchenzugehörigkeit vorbereiten sollten:
1. Professionalisierung des Carbon (Risk) Managements
Die EU will bis 2050 klimaneutral werden. Die politisch-regulatorische Umsetzung dieses Ziels wird alle Sektoren betreffen und zu sogenannten Stranded Assets führen, also zu Vermögenswerten, deren Ertragskraft oder Marktwert durch veränderte Rahmenbedingungen drastisch sinken. Zugleich werden Unternehmen je nach Klimaintensität ihres Geschäftsmodells zum Teil immense Kosten zu schultern haben, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen und Stranded Assets vorzubeugen.
So werden sich etwa zwei Drittel des aktuellen Gebäudebestands in Deutschland, der zum Großteil den technischen Anforderungen an klimaneutrales Wohnen noch nicht genügt, im Jahr 2050 noch in Nutzung befinden. Das macht kostspielige Nachrüstungen etwa für Immobilienunternehmen nötig. Diese Risiken – Wertverlust und Kosten – haben auch die Teilnehmer am Kapitalmarkt erkannt und fordern entsprechende Offenlegungspflichten der Unternehmen. Unterstützung erhalten sie von der EU-Kommission und deren Sustainable Finance-Strategie. Entsprechende verpflichtende Vorgaben – zunächst primär für kapitalmarktorientierte Unternehmen – sind nur mehr eine Frage der Zeit.
Vor diesem Hintergrund sind Unternehmen gut beraten, ihre Klimarisiken (physische wie transitorische) zu kennen und im Abgleich mit den politischen und branchenspezifischen Rahmenbedingungen zu bewerten – nicht nur aus Gründen absehbarer Offenlegungspflichten, sondern auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Notwendige Voraussetzung ist ein professionelles Carbon Accounting, auf dessen Basis geeignete Ziele zur Minimierung der identifizierten Risiken zu formulieren sind. Emissionskennzahlen müssen dafür mittelfristig eine ähnliche Qualität erreichen wie die im Jahresabschluss dargelegten Finanzkennzahlen.
Quelle: akzente kommunikation und beratung GmbH
2. Nachhaltigkeitsbewertung des Portfolios
Mit der Erarbeitung einer „Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten“ hat sich die EU-Kommission etwas vorgenommen, was vielen bislang ein hoffnungsloses Unterfangen schien: Zu definieren, welche Wirtschaftsaktivitäten als nachhaltig gelten können und welche nicht. Entsprechend kontrovers wurden die ersten Zwischenergebnisse diskutiert und von zahlreichen Lobbyisten begleitet.
Die Taxonomie definiert im Hinblick auf sechs europäische Umweltziele (unter anderem Eindämmung des Klimawandels, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Schutz gesunder Ökosysteme) jene Wirtschaftssektoren, die einen maßgeblichen positiven oder negativen Einfluss auf die Erreichung dieser Ziele haben. Unternehmen dieser Sektoren sollten dann künftig den Anteil ihrer Investitions- und Betriebskosten sowie den Anteil ihres Umsatzes messen und ausweisen, die den branchenspezifischen technischen Kriterien (Schwellenwerte für Nachhaltigkeit pro Branche und Umweltziel) entsprechen.
Auf die dann taxonomiekonformen Unternehmen(steile) oder Investitionsprojekte sollen entsprechende nachhaltige Finanzierungsinstrumente aufsatteln. Auch wenn derzeit keine Verpflichtung absehbar ist, einen bestimmten Mindestanteil des Produkt- oder Dienstleistungsportfolios taxonomiekonform zu gestalten, so werden doch die (Kapital)Marktmechanismen dafür sorgen, dass Wettbewerbsvorteile eher bei solchen Unternehmen liegen werden, die sich in größerem Umfang „offiziell nachhaltig“ nennen dürfen.
Für Unternehmen ist es hierbei zunächst irrelevant, ob sie börsennotiert sind oder nicht. Denn auch Banken und Versicherungen werden zukünftig verpflichtet sein, ESG-Kriterien in ihren Finanzierungsentscheidungen angemessen zu berücksichtigen. Insofern ist es für alle Unternehmen, deren Geschäftsmodell Auswirkungen auf die europäischen Umweltziele haben können, ratsam, die weitere Ausarbeitung der EU-Taxonomie zu beobachten und die eigenen Datensysteme auf die absehbare Notwendigkeit vorzubereiten, das Portfolio wie auch die Investitions- und Betriebskosten im Hinblick auf die Nachhaltigkeitstaxonomie zu bewerten.
3. Neue Finanzierungsinstrumente und Kapitalmarktkommunikation
Der Umfang nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland hat mit rund 270 Milliarden Euro im Jahr 2019 erneut einen Rekordwert erreicht. Er stieg um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (FNG-Marktbericht Nachhaltige Geldanlagen 2020), und es ist vor allem im Hinblick auf den Sustainable Finance Action-Plan zu erwarten, dass der Anteil nachhaltiger Fonds und Mandate weiter exponentiell wachsen wird.
Vor diesem Hintergrund gewinnen ESG-Ratings und neue Finanzierungsinstrumente für Unternehmen enorm an Bedeutung. Wo Nachhaltigkeitsratings als Zusatzinformationen früher eher eine Nische des Anlagemarkts bedient haben, werden sie heute direkt in die Bonitätsratings integriert. Zugleich entstehen mit Green Bonds, Sustainability Awareness Bonds oder ESG-linked Loans immer mehr Finanzierungsinstrumente, die Nachhaltigkeit „einpreisen“. Und dank der Standardisierungen und politischen Unterstützung, die diese im Kontext von TCFD, Taxonomie und Co. erfahren, werden diese Instrumente zukünftig noch viel mehr Teil des Tagesgeschäfts der Treasury- und Investor Relations-Abteilungen werden. Unternehmen tun deswegen gut daran, ihre Performance in den für sie relevanten ESG-Ratings aktiv zu managen, deutlich intensiver und belastbarer mit dem Kapitalmarkt über ihre Nachhaltigkeitsleistungen zu kommunizieren und zu prüfen, welche neuen Finanzierungsquellen sich auftun, mit denen sich aufgrund guter Nachhaltigkeitsleistungen Kapitalkosten sparen lassen.
Dieser Beitrag ist im Magazin Verantwortung, Ausgabe 3/2020 erschienen. Die Magazin-Version kann hier abgerufen werden.
Titelbild: Guillaume Périgois, Unsplash