Diversity: Ignoranz ist gefährlich

Trotz aller Studien, dass Vielfalt und Chancengleichheit Unternehmen zukunftsfähiger machen, gilt das Thema vielen Entscheidungsträgern immer noch als Modetrend. Im deutschen Mittelstand wirkt die Ignoranz besonders verheerend.

Denn wo sollen sie denn herkommen, die Ideen, die Neugier, die Kraft und der Mut für den Wandel? Von jenen, die schon lange am Ruder sind, sicher nicht. Wenn wir mit Führungskräften aus dem Mittelstand über Nachhaltigkeit sprechen, so denken die meisten an Klimaschutz, Umwelt, Arbeitssicherheit, ja vielleicht noch an verantwortungsbewusste Lieferketten. Aber Vielfalt und Chancengleichheit haben die wenigsten auf dem Schirm. Nun hat eine Studie den Finger in die Wunde und die ganze Misere offengelegt: In deutschen Familienunternehmen sind nur 18 Prozent der Aufsichtsratsposten mit Frauen besetzt. Bei der Besetzung durch jüngere Menschen mit Digitalhintergrund, die womöglich aus dem Ausland stammen, sieht es sogar noch schlechter aus.

Aufsichtsräte als strategische Schaltstellen

Während in den börsennotierten Unternehmen die gesetzliche Quote und die Anforderungen des Corporate Governance Kodex wirken, blieb der Mittelstand von derlei Vorgaben bisher verschont. Die Freiheit, es selbst zu richten, hat die Mehrzahl der Unternehmen nicht genutzt. Und das wird auf längere Sicht zum Problem. Denn im Mittelstand haben die Aufsichts- und Beiräte eine besonders große Bedeutung – ja, sie sind dort die eigentlichen Schaltstellen der Unternehmensstrategie. Und so muss es bedenklich stimmen, dass eine Mitte August erschienene Studie von Russell Reynolds nicht einen nur einen Mangel an Frauen in den mittelständischen Aufsichtsräten beklagt, sondern auch an Mitgliedern mit internationalem Hintergrund und an Digitalisierungsexpert:innen. Bei letzteren liege der Anteil bei kärglichen zehn Prozent im Vergleich zu 80 Prozent bei DAX-Unternehmen.

Diverse Perspektiven für neue Ideen

Die seit langem bestehende Forderung, Aufsichtsräte müssten diverser werden, hat einen guten und hinreichend erforschten Grund: Gemischte Gremien agieren erfolgreicher, weil sie eine andere Diskussionskultur pflegen, weil Fragen gestellt und andere Perspektiven eingebracht werden. Wenn aber nun über viele Jahre hinweg immer dieselben Menschen mit ähnlichem Mindset im Aufsichtsrat sitzen und die Aufgabe womöglich aus purer Verbundenheit wahrnehmen, kann sich kein Innovationsgeist und keine Veränderungsbereitschaft im Unternehmen entwickeln. Bedenklich ist auch die Tatsache, dass Vorstände im Mittelstand durchschnittlich 14 Jahre im Amt sind, so Russel Reynolds. Das sieht schon sehr nach gemeinsamem „Weiter so“ aus.

Innovation als Frage der Haltung

Eigentlich könnten Familienunternehmen in Sachen Vielfalt und Chancengleichheit sogar schneller und überzeugter agieren als DAX-Konzerne. Und sie täten gut daran, denn der Nachwuchs, dem das Thema wichtig ist, wird gerade hier immer knapper. Gute Vorbilder gibt es. Und bei aller Tristesse erleben wir in unseren Gesprächen mit den Eigentümern auch immer wieder engagierte Frauen – ob Töchter oder Enkelinnen –, die in den Räten vertreten sind. Leider aber besteht im Mittelstand oft eine über viele Jahre – vom Aufsichtsrat über die Vorstände bis hin zum mittleren Management – verinnerlichte Haltung, Erwartungen, die von außen kommen als Modetrend oder bürokratische Zumutung abzutun.

Natürlich kann man sich über die Diskussion ums Gendern mokieren und die Frauenquote belächeln. Vor wenigen Jahren noch wurde ähnlich abfällig über Elektromobilität, vegane Lebensmittel oder Home Office gesprochen. Das aber war, ist und bleibt ein Fehler, denn Innovationen entstehen aus Trends. Kein Wunder also, dass viele Mittelständler nicht gut vorbereitet sind auf die Transformation – mit ihren Produkten, aber vor allem mit ihrer Unternehmenskultur, aus der heraus Neues entstehen muss.


Foto: missmushroom | Unsplash

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