Von der Technologie und dem Begriff Blockchain ist derzeit überall die Rede. Die Diskussionen erinnern an die Zeit, in der allein der Zusatz „.com“ im Unternehmensnamen half, die Aktienpreise in die Höhe zu treiben. Ähnlich vorgekommen bei der Verdreifachung des Börsenwertes durch die Umbenennung in „Long Blockchain Corporation“, ungehindert durch das analoge Kerngeschäft der Eistee-Produktion.
Wofür soll die Blockchain nicht alles helfen? Natürlich für die Erschaffung neuer, dezentral aufgelegter und nicht staatlich kontrollierter Währungen. Aber ebenso für das „Internet of Things“, Versicherungen, Mobilitätslösungen, Cloud Speicher, Online Musik-Streaming – und eben auch für nachvollziehbare Spendenverteilung, Lieferkettenmanagement, Fortschritte im Gesundheitswesen und sogar für das Durchführen von Wahlen.
Auch für den Bereich der Nachhaltigkeit wird sie hoch gehandelt. Aber ist die Technologie der Blockchain selber nachhaltig?
Kurzer Einblick in die Technologie
Was ist die Blockchain genau? Kurz gesagt: Eine dezentral aufgebaute Datenbank, in der Informationen in Blöcken chronologisch aneinandergereiht werden und die dank eines kryptografischen Verfahrens fälschungssicher ist.
Neue Informationen werden gesammelt und als neuer Block an das Ende der Blockchain angefügt. Eine dezentrale Methode zur Bestimmung einer gültigen Version des Blocks, der sogenannte Konsensmechanismus, ersetzt die Notwendigkeit eines vertrauenswürdigen Dritten zur Wahrung der Integrität der Blockchain. Darüber hinaus enthält jeder Block eine Prüfsumme des vorhergehenden Blocks und einen Zeitstempel, die eine Manipulation über die gesamte Kette sichtbar machen würden. Damit es zur Speicherung der Informationen keiner zentralen Instanz bedarf, gibt es bei jedem Netzwerkteilnehmer eine identische Kopie der Datenbank.
Unterschieden werden öffentliche und private Blockchains, die sich vor allem durch den Teilnehmerkreis und die dadurch entstehenden Anforderungen differenzieren. Die öffentliche Blockchain hat eine offene und transparente Struktur, die Teilnehmer sind anonym. Diese Zugangsfreiheit benötigt starke, dezentrale Konsensmechanismen, die Vertrauen in das System aufbauen. In einer privaten Blockchain, bei der alle Teilnehmer untereinander bekannt sind, reicht ein weniger komplexer Konsensmechanismus und sie kann generell schlanker und schneller gestaltet werden.
Eine derartige schmale Lösung könnte auf Produktebene eingesetzt werden und einen Rohstoff über die Verarbeitung bis zum fertigen Produkt durch die gesamte Lieferkette begleiten. Der Endkonsument könnte anhand der in der Blockchain gespeicherten Daten den Werdegang seines zum Kauf beabsichtigten Produktes nachvollziehen. Das klingt vielversprechend. Doch auch die Blockchain gerät dabei an ihre Grenzen.
Manipulationssicherheit als zentrales Kriterium
Die Blockchain selbst ist ein neutraler Datenspeicher. Sie überprüft die Integrität des Datensatzes, nicht jedoch die Richtigkeit der darin enthaltenen Daten selbst. Beispiele wie die in der öffentlichen Blockchain „Bitcoin“ enthaltene Virussignatur oder die Links zu illegalem Content zeigen das deutlich. Die Blockchain ist lediglich Träger dieser Information. Verantwortlich für die Inhalte sind die Teilnehmer, die diese einliefern.
Zwar ist eine private Blockchain innerhalb einer Organisation mit bekannten Teilnehmern einfacher zu kontrollieren. Tatsache bleibt aber, dass die Richtigkeit der Informationen auch hier von den Informationslieferanten abhängig ist. In einer Lieferkette ließen sich durchaus Motive für eine Informationsfälschung finden, etwa um Rohstoffen eine bio-zertifizierte Herkunft anzudichten und dadurch die Gewinnspanne zu erhöhen. Und komplexe Technik wie die Blockchain, für deren Verständnis man Fachexpertise besitzen muss, ist anfällig für gezielten Betrug.
Transparenz wird erst durch eine mögliche Prüfung wertvoll
Wenn aber die Information, die in der Blockchain hinterlegt wird, gefälscht sein könnte, sinkt die Vertrauenswürdigkeit der Technologie. An einer Kontrolle der Datenerfassungspunkte wird man daher nicht vorbeikommen. In der Lieferkette sind diese Orte der Datenerfassung z.B. die Färberei für Stoffe oder die Frachtumladung bei Tiefkühlprodukten.
Bei einem Einsatz auf der Ebene einzelner Waren werden allerdings Datenmengen erzeugt, die durch die schiere Masse nur noch schwer überprüfbar sind. Hier kann nur stichprobenartig ein Abgleich mit realen Bedingungen vor Ort oder eine Kontrolle der Datenerfassungsprozesse durchgeführt werden.
Wer aber kann prüfen? Der Konsument wird es kaum machen. Weder hat er die Fähigkeiten noch die Ressourcen für tiefergehende Recherchen bei jedem Einkauf. Bleiben also staatliche Stellen oder Nichtregierungsorganisationen, die einzelne Unternehmen und ihre Aktivitäten unter die Lupe nehmen, beurteilen und öffentlich machen können. Für diese Kontrolle kann eine durch das Unternehmen offengelegte Blockchain wertvolle Informationen liefern.
Eine ketzerische These
Transparenz kann also ein großer Bonus der Blockchain sein – sofern sie mit weiteren Kontrollinstrumenten bei den Datenlieferanten verbunden wird. Doch sie lindert so nur Symptome, ohne die aus Nachhaltigkeitssicht bestehenden Probleme wirklich zu lösen. Wir wissen nun etwa, welche Lieferkettenglieder am Produkt mitgearbeitet haben. Aber wir wissen noch nicht, welche Arbeitsbedingungen in diesem Lieferkettenglied geherrscht haben, wie die Bezahlung der Arbeiter tatsächlich war und wie die Rohstoff-Erzeugung gehandhabt wurde.
Diese typischen Nachhaltigkeitsthemen werden in der Logistik-Blockchain der Lieferkette nicht adressiert. Es stellt sich die Frage, ob sich aus unternehmerischer Nachhaltigkeitssicht das für die Implementierung einer Blockchain nötige Kapital nicht besser an einer Stelle angelegt wäre, an der die Herausforderung direkt angegangen wird und die Kontrollmöglichkeit am Ende gar nicht mehr benötigt wird.
Einbettung in ein Gesamtkonzept
Beim Aufbau einer nachhaltigen Gesellschaft wird uns die Blockchain deshalb nur bedingt helfen können. Betrachtet man die sozialen Belange, so kann das Vertrauen in Technik nicht so weit gehen, dass Kontrollen obsolet werden. Betrachtet man den Ressourcenverbrauch, könnte ein Rebound-Effekt auftreten und die Effizienzgewinne wieder abschöpfen. Denn als Software-Produkt braucht die Blockchain-Technologie eine Hardware-Infrastruktur, auf der sie ausgeführt wird. Dies bedeutet zum einen den umweltbelastenden und mit sozialen Konflikten verbundenen Ressourcenabbau, um die nötigen elektronischen Geräte zu produzieren. Zum anderen ist gerade für öffentliche Blockchains wie den Kryptowährungen der Gesamtenergieverbrauch extrem hoch. Er bewegt sich selbst nach konservativen Schätzungen bereits in der Größenordnung von Städten. Bei privaten Blockchain-Anwendungen ist zwar der Energieverbrauch geringer, doch potenziert er sich durch die Anzahl der Anwendungsfälle in den globalen Lieferketten.
Technik als zusätzliches Transparenzinstrument wird uns dabei unterstützen können, gut informierte Entscheidungen zu treffen. Sie wird aber nicht die Lösung darstellen für unsere hausgemachten Probleme. Diese sind durch menschliches Verhalten verursacht und wenn wir sie lösen wollen, müssen wir organisatorische und gesellschaftliche Prozesse anstoßen. Transparenz sollte für Unternehmen nicht das Endziel darstellen, sondern die Übernahme von Verantwortung für die Umwelt und die Menschen, die zum eigenen Erfolg beitragen. Wenn die Akteure der Lieferkette nachvollzogen werden können, müssen Maßnahmen folgen und im nächsten Schritt gemeinsam mit diesen Akteuren an konkreten Verbesserungen gearbeitet werden. Hier können und sollten andere Werkzeuge zum Einsatz kommen, allen voran der partnerschaftliche Dialog auf Augenhöhe.