Seit Ende der 1990er Jahre die ersten großen Mengen an Plastikmüll im Pazifik gefunden wurden, hat die Verschmutzung der Meere dramatisch zugenommen. Kein Land kann das Problem allein lösen. Wir sprachen über den Schutz der Ozeane und Meere mit Prof. Dr. Sabine Schlacke, Professorin am Institut für Umwelt- und Planungsrecht an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Co-Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Das Vermüllen der Meere vor allem mit Plastik und Mikroplastik nimmt seit Jahren zu, obwohl das Problem schon lange bekannt ist und seit 1992 (Konferenz in Rio) auch politische Maßnahmen angekündigt wurden. Strategien sind erarbeitet und Kommissionen tagen. Weshalb gelingt es dennoch nicht, gegen das Problem erfolgreich vorzugehen?
Prof. Dr. Sabine Schlacke: Früher dachten die Menschen, die Kapazitäten der Meere seien unendlich. Sie haben Meere als Abfallhalden genutzt. Durch Abfalleinträge vom Land (Städte, Flüsse) und vom Meer (Schiffe) haben sich Meere zu der letzten großen Abfallhalde der Menschheit entwickelt. In jüngster Vergangenheit hat sich insbesondere der Plastikabfall zu einem weltweit wahrgenommenen Problem entwickelt.
Die Bekämpfung von Plastikabfall ist herausfordernd: Plastik wird ubiquitär verwendet, sodass Einzelmaßnahmen – etwa produktbezogene – nur bedingt Effekte auslösen. Die landseitige Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll unterliegt der Kontrolle des jeweiligen Küstenstaates. In Deutschland besteht zuvörderst eine Vermeidungspflicht für Hersteller und Besitzer von Produkten.
Sodann sind Plastikabfälle zu verwerten, bevor als letzte Maßnahme eine Pflicht zur Beseitigung durch Deponierung besteht. Rücknahmepflichten für Hersteller und Handel führen häufig zwar zur Verwertung von Plastikabfällen, nicht indes zu dessen Vermeidung. Die Vermeidung von Plastik ist wirtschaftlich in der Regel nicht attraktiv, da die Kosten der Verwertung oder Beseitigung letztlich dem Verbraucher auferlegt werden (Vergemeinschaftung).
Der auf dem Meer schiffsseitig eingebrachte Plastikmüll in internationale Gewässer unterliegt keiner staatlichen (territorialen) oder internationalen Kontrolle. Wenn von Schiffen Plastikmüll in internationalen Gewässern (=Hohe See) entsorgt wird, so hängt die Wirksamkeit des Verbots davon ab, ob der jeweilige Flaggenstaat die internationalen Vereinbarungen (Londoner Übereinkommen, MARPOL) ratifiziert und umgesetzt hat, und auch entsprechend wirksam kontrolliert. Hieran mangelt es regelmäßig.
Effektiver sind insoweit die durch die MARPOL-Vereinbarung vorgeschriebenen Hafenstaatskontrollen. Hafenstaaten können kontrollieren, ob Schiffe über Abfallentsorgungsmaßnahmen und -pläne verfügen, die die Entsorgung von Abfällen im Meer verhindern. So müssen sogenannte Mülltagebücher geführt werden. Die Abgabe an Land ist verpflichtend und mittels einer Quittung nachzuweisen. Bei Verstößen drohen empfindliche Bußgelder.
Der Plastikabfall im Meer macht nicht an Ländergrenzen halt. Aufgrund der großen Strömungen ist ein Zentrum der Verschmutzung sogar der Nordpazifik. Was können einzelne Länder und vor allem Europa dagegen überhaupt ausrichten?
Prof. Dr. Schlacke: Inwieweit die Beseitigung von bereits existierendem Plastikmüll, der in die Weltmeere gelangt ist, möglich ist, ist noch nicht absehbar. Entscheidender ist es, die weiterhin stattfindende Verschmutzung der Meere mit Plastikmüll zu reduzieren, besser noch: zu unterbinden. Hierzu bedarf es zunächst eines effektiven Monitorings des Nord-Ost Atlantiks. Deutschland hat etwa die Konvention zum Schutz der Meeresumwelt des Nord-Ost Atlantiks ratifiziert. Die OSPAR-Vertragsstaaten haben 2008 einen Indikator für einen guten Meereszustand festgelegt: Nur bei maximal zehn Prozent aller tot gefundenen Eissturmvögel dürfen mehr als 0,1 Gramm Plastik im Magen gefunden werden.
Für die Verringerung oder Vermeidung der Einträge von Plastikmüll in die See kommt es entscheidend auf effektive Maßnahmen zur Vermeidung der Herstellung und Verwendung von Plastik an.
Bis 2020 sollen die europäischen Meere in gutem Zustand sein. Welche konkreten Maßnahmen müssten dafür jetzt angegangen werden? Und welche Akteure müssten die entscheidenden Schritte dafür gehen?
Prof. Dr. Schlacke: Die Europäische Union als gewichtiger Wirtschaftsraum mit hohem Plastikverbrauch und wesentlicher Verursacher von Plastikmüll hat mit der 2008 verabschiedeten Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ein Gesetz vorgelegt, das die Erhaltung oder Erreichung eines guten Zustands der Meere bezweckt. Danach dürfen Abfälle im Meer keine schädlichen Auswirkungen auf die Küsten- und Meeresumwelt haben. Bislang ist noch nicht geklärt, welche Abfallarten und -mengen keine schädlichen Auswirkungen haben.
In Bezug auf Plastikmüll in Meeren sind noch keine konkreten Maßnahmen zur Vermeidung oder Verminderung auf der Grundlage der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ergriffen worden. Im Rahmen derMeeresstrategie-Rahmenrichtlinie konzentriert sich die EU auf die Entwicklung von Monitoringprogrammen zur Beseitigung wissenschaftlicher Unsicherheiten, Spezifizierung des Begriffs des guten Zustands im Hinblick auf plastikbelastete Meere, Definition bestimmter Ziele bezüglich der Vermeidung und Beseitigung von Plastikmüll sowie die Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Erarbeitung und Umsetzung einer europaweiten Meeresstrategie.
Die EU muss darüber hinaus weitere Maßnahmen ergreifen, die vor allem bei der Entstehung und Verwendung von Plastik ansetzen. Hierzu kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht: nutzungsorientierte Maßnahmen (Mindestverkaufspreis von Plastiktüten), produktorientierte Maßnahmen durch die Reduzierung von Plastik bei der Herstellung von Produkten (Ökodesign-Richtlinie und entsprechende Verordnung) und innovationsorientierte Maßnahmen, zum Beispiel die Förderung von Forschungsvorhaben für biologisch abbaubare Kunststoffe oder solche für die Verwendung abbaubarer Kunststoffe für den Gebrauch von Fischernetzen.
Eine relevante Verursachungsquelle von Mikroplastik sind ferner kosmetische Produkte. Die EU könnte im Rahmen des Produktrechts die Verwendung von Plastik zur Kosmetikherstellung untersagen.
Sehen Sie eher in der Produktverantwortung der Hersteller oder in der Aufklärung der Verbraucher einen geeigneten Hebel für einen wirksamen Schutz?
Prof. Dr. Schlacke: Die Politik sollte beide Akteure adressieren. Hersteller und Händler von Produkten könnten zum einen durch klare ordnungsrechtliche Vorgaben (Ver- und Gebote) zu einem bestimmten, hier: plastikmüllvermeidenden Verhalten, gezwungen werden. Ferner könnten stärkere Anreize für Hersteller und Händler zur Vermeidung und Verwertung von Plastikabfall etwa durch Umweltsiegel oder Privilegien bei der Kontrolle von Betrieben gesetzt werden.
Bei Verbrauchern sollte die Wahlmöglichkeit als Ausdruck der Konsumentenfreiheit und -entscheidung im Mittelpunkt stehen. Um ein plastikvermeidendes Verhalten zu erzeugen, bedarf es der Aufklärung von Verbraucherinnen und Verbrauchern über die Folgen des Kaufs, der Verwendung und Beseitigung von Plastik. Dies kann auch durch Produktkennzeichnungen erfolgen. Des Weiteren bedarf es der (Fort-)Bildung, so etwa der Aufklärung über Vermeidungsstrategien von Plastikabfällen. Diese Bildung muss bereits im Kindergarten ansetzen. Schule und Hochschule sind weitere Orte, wo über das Konsumverhalten und seine Umweltauswirkungen aufgeklärt werden sollte.