Die Wiederaufbauhilfen nach der Coronakrise seien eine „einmalige Investitionsanstrengung“, die kein zweites Mal komme, betont der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, Sven Giegold, im Interview. Daher sei es so wichtig, die Gelder jetzt in die richtigen Bahnen zu lenken.
Herr Giegold, der Green Deal wird derzeit zum Fahrplan eines „grünen Wiederaufbaus“ in Europa nach der Coronakrise. Gleichzeitig fordern andere bereits ein Aufweichen des Green Deals eben wegen der Coronakrise. Was sind Ihre Argumente in Richtung der Skeptiker?
Wenn jetzt Hunderte von Milliarden als Wiederaufbauhilfen ausgegeben werden und über 2.000 Milliarden anvisiert sind als direkte Hilfen für die Unternehmen in der Coronakrise, wird deutlich: Dieses Geld werden wir nicht noch einmal ausgeben können. Daher ist die Frage, ob wir die Klimaziele erreichen oder nicht, auch davon abhängig, ob wir diese einmalige Investitionsanstrengung jetzt gleich in die richtigen, zukunftsgerichteten Bahnen lenken.
Darüber hinaus muss natürlich der Rahmen verändert werden, so dass auch private Investitionen eindeutig auf Klimaschutz, Biodiversität und Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Der Green Deal ist daher im Wesentlichen kein öffentliches Investitionsprogramm, sondern ein Programm zur Stärkung der Investitionsbereitschaft und -fähigkeit des privaten Sektors.
Was sind für Sie die wichtigsten Bestandteile des Green Deals? In welchen Bereichen erhoffen Sie sich die größte Wirkung?
Aus meiner Sicht ist das Zentrum des Green Deals eindeutig die Reform des Emissionshandels, verbunden mit dem so genannten „Border Adjustment“, also dem CO2-Ausgleich an der Grenze. Erst wenn CO2 einen höheren Preis im europäischen Binnenmarkt hat, werden die Unternehmen und die Privathaushalte ihre Gewohnheiten verändern und noch stärker als bisher in die Zukunft investieren. Der Preis ist der Schlüssel. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung müssen gerecht an die Haushalte zurückgegeben werden, um eine soziale Schieflage bei der Belastung zu vermeiden. Danach geht es um die Regulierung der verschiedenen Sektoren. Und da spielen natürlich die großen CO2-intensiven Industrien die zentrale Rolle.
Das heißt, zuvorderst muss es darum gehen, die Energieregeln für Gebäude zu verändern und beim Thema saubere Mobilität schneller zum Ziel zu kommen, also CO2-frei unterwegs zu sein. Wir brauchen ein umfassendes Programm zur erfolgreichen Sektorkopplung. Das bedeutet, wenn wir die Erneuerbaren konsequent ausbauen, können wir den Strom in den Überschusszeiten benutzen, um damit mobil zu sein, unsere Gebäude zu beheizen und gleichzeitig grünen Wasserstoff herzustellen. Daher wollen wir Grünen ein 70-Millionen-Dächer-Programm für den Ausbau der Photovoltaik in Europa.

Gerade erst hat der Fortschrittsbericht der EU zu den Sustainable Development Goals der UN festgestellt, dass es beim SDG 13, „Climate Action“, in den vergangenen fünf Jahren keine Fortschritte gab. Wie wahrscheinlich ist es, dass die EU bis 2050 wirklich klimaneutral wird?
Wir wissen aus der Menschheitsgeschichte, dass Innovationsprozesse – wenn sie einmal ausgelöst sind und die Rahmenbedingungen stimmen – sehr schnell vonstatten gehen, und zwar schneller, als wenn man nicht eingegriffen hätte. In dem Moment, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und die Technologien reif sind, entwickeln sie sich mit rasender Geschwindigkeit. Das ist auch hier so. Bisher hatte CO2 keinen Preis. Bisher waren die politischen Anstrengungen nicht ernsthaft. Nun zu sagen, weil es in der Vergangenheit mit dem Klimaschutz nicht so schnell vorangegangen ist, werde es auch in Zukunft nicht geschehen, ist eine fragwürdige Argumentation. In Europa haben wir alle Voraussetzungen, um den Wandel zu schaffen.
Die große Frage mit Blick auf die UN-Ziele ist: Wird auch der Rest der Welt mitmachen? Und das hängt eben daran, ob es uns in Europa gelingt, Klimaschutz mit wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit zusammenzubringen. Nur wenn dies gelingt und dadurch das Projekt des Klimaschutzes die gleiche öffentliche Unterstützung hat wie im Moment, haben wir eine Chance, dass sich das auch global verbreitet. Unsere Klima-Außenpolitik muss sich darauf konzentrieren, möglichst viele Länder mitzunehmen und Partnerschaften einzugehen, damit der Pariser Klimavertrag nicht scheitert, sondern die einzelnen Länder der Welt nach und nach – aber rasch – ihre Anstrengungen erhöhen.
Sehen Sie in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli eher eine Chance oder eher ein Risiko für die Umsetzung des Green Deals?
Die deutsche Ratspräsidentschaft ist aus meiner Sicht eine große Chance, und zwar auch deshalb, weil die Bundesregierung seitens der Grünen und der Klimabewegung unter Druck steht. Starke Grüne und eine starke Klimabewegung sowie die Unternehmen der Zwei-Grad-Initiative der deutschen Wirtschaft – sie alle setzen die Bundesregierung klimapolitisch unter Druck. Eine solche Situation haben wir nicht in allen Ländern Europas, und daher kann sich jetzt auch etwas bewegen.
Ganz entscheidend ist, dass das europäische Klimagesetz, das ja den Rahmen bilden soll für alle Klimaanstrengungen, nicht nur das Datum der CO2-Neutralität des Kontinents festsetzt, also 2050, sondern auch harte Zwischenziele, idealerweise minus 65 Prozent gegenüber 1990 bei den Treibhausgasemissionen bis 2030. Dieses Klimagesetz muss unter der deutschen Ratspräsidentschaft ausverhandelt werden, und zwar nicht nur im Rat, sondern auch im Europäischen Parlament, damit Europa mit einem beschlossenen Klimagesetz in die globalen Klimaverhandlungen gehen und pünktlich seine verstärkten Maßnahmen einreichen kann.
Das Interview ist Teil des alle zwei Monate erscheinenden akzente Politikmonitors. Darin verfolgen wir die Diskussionen und Veranstaltungen rund um Nachhaltigkeit in Brüssel und Berlin, greifen Impulse auf und geben Einblicke. Die neuesten Ausgaben des Politikmonitors stehen Ihnen hier zum Download bereit.
Titelbild: David Levêque, Unsplash