Es ist ein Drama in drei Akten: Die Verpflichtung der deutschen Unternehmen, Menschenrechte in der Lieferkette zu schützen, sollte längst Gesetz sein. Doch was die Bundesregierung einst versprochen hat, wird von widerstreitenden Interessen blockiert. Und ein Ende des Dramas steht noch aus.
Der erste Akt: Die Vereinten Nationen beschließen im Jahre 2011 die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Alle Mitgliedsländer, auch Deutschland, verpflichten sich, die Leitprinzipien in nationales Recht umzusetzen, entweder als freiwillige, wenn auch verbindliche, Vereinbarungen oder als nationales Gesetz. Sie basieren auf dem Dreiklang von „Protect, Respect, Remedy“ oder zu deutsch: Schutz, Achtung, Abhilfe.
Konkret heißt „Schutz“, dass der Staat für den Schutz der Menschenrechte zuständig ist und daher geeignete Maßnahmen ergreifen muss, damit „seine“ Unternehmen dies auch tun. „Achtung“ bedeutet, dass Unternehmen Sorgfaltspflichten unterliegen, damit weder sie selbst noch ihre Lieferkette menschenrechtlichen Risiken ausgesetzt sind. „Abhilfe“ schließlich meint, dass Personen, deren Menschenrechte verletzt wurden, ein Recht auf Wiedergutmachung haben, einschließlich eines Zugangs zu Beschwerdestellen und der Möglichkeit, sein Recht einklagen zu können.
Freiwilligkeit hat nicht geholfen
Mit dem zweiten Akt nahm das Drama seinen Lauf. Um die UN-Leitprinzipien umzusetzen, griff die Bundesregierung zum Instrument der freiwilligen Selbstverpflichtung. Dafür brauchte sie fünf Jahre. Der „Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte 2016-2020“, kurz NAP, wurde im Dezember 2016 beschlossen. In den darauf folgenden Jahren hat der aus fünf Bundesministerien bestehende Interministerielle Ausschuss Wirtschaft und Menschenrechte mit eindringlichen Briefen, Beratungsangeboten und Arbeitshilfen im Internet versucht, ein bescheidenes Quorum deutscher Unternehmen zu gewinnen, die nachweisen können, dass sie ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in der Lieferkette umsetzen. Das ist trotz Senkung des Anspruchs und Verkleinerung der Fallzahlen nicht gelungen. Nun muss ein Gesetz her, so sieht es auch die Koalitionsvereinbarung vor.
Der dritte Akt des Dramas läuft noch. Die Rolle des bösen Buben hat Bundeswirtschafts-minister Peter Altmaier übernommen. Er weigert sich standhaft, Unternehmen angesichts der Coronakrise weitere Belastungen aufzuerlegen, obwohl weite Kreise der Wirtschaft das Gesetz explizit wollen. Er wehrt sich gegen einklagbare Haftungsregeln und versucht, die Zahl der zu verpflichtenden Unternehmen zu senken. Wegen des Klärungsbedarfs sind Bundestagsdebatten am 26. August und 9. September im Sande verlaufen, an einer Bundestagsaussprache am 17. September nahm Altmaier nicht teil. Oktober werde nun angepeilt, heißt es.
Erst Europa oder gleich die ganze Welt?
Ungeachtet der Tatsache, dass die UN-Leitprinzipien für alle Mitglieder der Vereinten Nationen gelten, lautet ein weiterer Einwand gegen ein deutsches Lieferkettengesetz, dass zumindest auf Ebene der Europäischen Union gleiche Regeln für alle gelten sollten. Dabei sind andere europäische Länder schon weiter: Unternehmen, die im Vereinigten Königreich Geschäfte machen wollen, müssen sich seit 2008 an den UK Modern Slavery Act halten. Seit 2017 gilt in Frankreich das erste umfassende Lieferkettengesetz in der EU. Es betrifft zwar nur die rund 120 Unternehmen in Frankreich, die mehr als 5.000 Beschäftigte haben, doch legt es ihnen immerhin Haftungsregeln auf. In den Niederlanden gilt seit Mai 2019 ein Gesetz gegen Kinderarbeit in der Lieferkette.
Der Ruf nach einer europäischen Regelung, so verständlich er ist, wird aber gegenwärtig ad absurdum geführt. Denn dem Vernehmen nach wartet Brüssel auf Berlin (und nicht umgekehrt), um das deutsche Lieferkettengesetz zur Blaupause für eine EU-weite Regelung zu machen. Die Voraussetzung ist allerdings, dass das Gesetz die nötige Verbindlichkeit hat, die schon die UN-Leitprinzipien einfordern. Übrigens: Weitgehend unbemerkt hat eine Arbeitsgruppe der UN im Jahr 2019 ein Gutachten zu der Frage vorgelegt, wie die rechtlich unverbindlichen Leitprinzipien verbindlich gemacht werden können. Gut möglich, dass die neuen Regeln dann nicht aus Berlin oder Brüssel kommen, sondern aus New York.
Ethische Führungsstärke beweisen
Mit einem starken und wirkungsvollen Gesetz zur Stärkung der Menschenrechte in der globalen Wertschöpfungskette könnte Deutschland daher in Europa und in der Welt ethische Führungsstärke beweisen. Die Botschaft wäre, „Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich stark, sondern handelt auch verantwortlich“. Es wäre ein wichtiges und hoffnungsvolles Zeichen in einer Welt, die sich zwischen den USA, China und Russland zerreibt, wo die Menschenrechte allenfalls mit schönen Worten bedacht werden. Nicht nur wäre eine solche Initiative eine Stärkung der europäischen Idee und Werte. Die Positionierung Europas gerade zwischen den USA und China wird vielleicht nur darüber funktionieren. Und das Drama wäre am Ende gar keins gewesen.
Dieser Beitrag ist im Magazin Verantwortung, Ausgabe 4/2020 erschienen. Das Magazin kann hier bestellt werden.
Foto: Harry Burk | Unsplash