Comeback der Kernenergie?

Der Durst nach Energie weltweit steigt, der Klimawandel schreitet voran – ist Atomkraft die Lösung?

  • Neue Spaltungsreaktoren versprechen mehr Sicherheit und stetige Versorgung.
  • Trotz geringer CO2-Emissionen ist ihr Beitrag zur Eindämmung der Erderwärmung kleiner als der von Erneuerbaren.
  • Solange die Frage der Endlagerung ungelöst ist, ist Kernenergie keine nachhaltige Lösung.

Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wächst der weltweite Energiebedarf bis 2040 um rund 25 Prozent. Der Einsatz erneuerbarer Energien steigt rasant, doch Schwankungen in der Energieerzeugung stellen nach wie vor Herausforderungen dar. Gleichzeitig läuft die Zeit davon, die Klimaerwärmung auf unter 1,5 bzw. 2°C zu begrenzen. In diesen Tagen werden die Stimmen der Befürworter von Atomenergie immer lauter. Ihre Kernargumente: Atomenergie ist CO2-frei, skalierbar und 24 Stunden am Tag verfügbar. Um die Erderwärmung zu bremsen sei sie daher unerlässlich, insbesondere in Gegenden, in denen nur wenig Wind weht und die Solarenergie nicht ausreiche, um Öl, Kohle und Gas zu ersetzen.

Auch Greta Thunberg bezieht Atomenergie kritisch in ihre Überlegungen mit ein: „Personally I am against nuclear power, but according to the IPCC, it can be a small part of a very big new carbon free energy solution, especially in countries and areas that lack the possibility of a full scale renewable energy supply – even though it is extremely dangerous, expensive and time consuming. But let’s leave that debate until we start looking at the full picture.“

 

Generation IV

Was genau versprechen sich die Befürworter? Einer davon ist Bill Gates. Ende Februar präsentierte er im Rahmen des MIT Technology Reviews bahnbrechende Technologien 2019. Darunter zu finden: Kernkraft. Sein Unternehmen terraPower forscht an einer schnelleren Klasse von Reaktoren – Spaltungsreaktoren der IV Generation. Zum Vergleich: Die Mehrheit der weltweit betriebenen Kraftwerke wird der zweiten Generation zugerechnet, nach einem Sicherheitsupdate aufgrund von Tschernobyl mittlerweile der dritten Generation.

Viele der Technologien existieren bereits seit Jahrzehnten, doch häufig nur in der Theorie. Diese werden jetzt wieder aufgegriffen, weiterentwickelt und versprechen sichere, nachhaltige und kostengünstige Anlagen – wie die folgenden zwei Beispiele zeigen:

Neue Kerndesigns folgen u.a. der Idee des Laufwellenreaktors. Das Mini-AKW von terraPower beispielsweise – ein sogenannter Small Modular Reactor – läuft anders als herkömmliche Reaktoren mit abgereichertem Uran, wie es in verbrauchten Brennstäben alter Kernkraftwerke enthalten ist. So könne 95 Prozent der enthaltenen Energie genutzt werden, ältere Modelle kämen auf lediglich 5 Prozent. Indem radioaktive Abfälle verbrannt werden, werde gleichzeitig das gewaltige Atommüllproblem gelöst, so der Hersteller.

Beim Flüssigsalzreaktor wird Uran als Flüssigsalz eingesetzt. Ähnlich wie Wasser in einer Heizung fließt es im Kreis und treibt eine Turbine an. Kanadische Regulierungsbehörden haben das Konzept für den Bau eines Prototyps der Firma Terrestrial Energy fürs Erste genehmigt. Mit einer tatsächlichen Inbetriebnahme eines solchen Reaktors ist allerdings nicht vor 2025 zu rechnen.

 

Kernenergie für den Klimaschutz?

Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens und das 1,5°C-Ziel zu erreichen, müssen sich laut UN Environment die weltweiten Emissionen von heute 53,5 Gigatonnen CO2-Äquivalent (Gt CO2e) bis zum Jahr 2030 mehr als halbieren – auf 24 Gt CO2e. Laut der IEA trägt die Kernenergie derzeit zu einer CO2-Reduktion von rund 1,3 bis 2,6 Gt jährlich bei – vorausgesetzt sie ersetzt Gas- oder Kohleverstromung. Ein positiver Beitrag zum Klimaschutz ist daher nicht von der Hand zu weisen. Doch schaut man sich den Energiesektor genauer an, wird deutlich, dass an anderen Stellen erheblich mehr Emissionen eingespart werden können. So ist das Reduktionspotenzial von Atomenergie mit 13 Prozent geringer als das von Energieeffizienz und -einsparungen mit 30 Prozent und erneuerbaren Energien mit 38 Prozent.

 

Falsche Versprechungen?

Die Versprechungen der neuen Spaltungsreaktoren klingen verlockend: kostengünstig, nachhaltig und sicher. Doch was die Erzeugung betrifft sind Wind und Photovoltaik praktisch immer günstiger – selbst bei pessimistischen Annahmen. Denn der Auf- und Rückbau von Kernkraftwerken ist mit immensen Kosten verbunden. Um diese zu senken, müssten Anlagen in großen Reaktorparks getestet werden und womöglich Sicherheitsstandards gesenkt werden. Angesichts von Atomunfällen wie Tschernobyl oder Fukushima ist dies aber undenkbar.

Wie sieht es mit der CO2-Neutralität der Energiequelle aus? Zwar fallen während der Produktion keine Treibhausgase an, doch sie sind der Stromproduktion vor- und nachgelagert. Laut dem Öko-Institut ist die CO2-Bilanz der Kernenergie über den gesamten Lebenszyklus zwar besser als bei Kohlekraftwerken, aber schlechter als bei erneuerbaren Energien.

Inhärente Sicherheit – also eine Konstruktion, bei dem das System auch nach dem Ausfall mehrerer Komponenten weiter sicher arbeitet – versprechen die neuen Spaltungsreaktoren ebenfalls. Einziges Problem: Der Laufwellenreaktor von terraPower existiert bislang nur in der Theorie, die Angaben basieren auf Simulationen. Beim Flüssigsalzreaktor zeigten sich bereits in den Sechzigerjahren Probleme beim Thema Korrosion: Chemische Stoffe verursachten Risse in Rohrleitungen – ein Problem, das weiterhin ungelöst scheint.

 

So kann Kernenergie nicht nachhaltig sein

Um den weltweit steigenden Energiebedarf zu decken, wird die Welt in nächster Zukunft nicht ohne Atomenergie auskommen. Doch um den Klimawandel zu bekämpfen, ist ihr Einfluss lediglich marginal. Erneuerbare Energien und Energieeffizienz haben ein durchaus größeres Potenzial, um Treibhausgasemissionen zu senken. Des Weiteren ist die Frage der Atommüllendlagerung nicht beantwortet. Denn selbst wenn moderne Spaltungsreaktoren radioaktive Abfälle verbrennen, wären lediglich weniger Atommülllager nötig.

Solange das Problem der Endlagerung also nicht gelöst und das Gefahrenpotential für nachfolgende Generationen nicht beseitigt ist, kann Kernenergie nicht nachhaltig sein und sollte nicht als Heilsbringer gegen den Klimawandel betrachtet werden.

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