Chancen und Risiken eines CO2-Grenzausgleichs

Was tun, um Europas Anstrengungen, die Wirtschaft klimaneutral umzukrempeln, nicht in internationalen Märkten untergehen zu lassen? Eine Lösung hört auf den sperrigen Namen „Carbon Border Adjustment Mechanism“, eine Grenzabgabe für Importe, die im Rahmen des Green Deal der EU eingeführt werden soll. Ein solcher Mechanismus wird die internationale Zusammenarbeit verändern, auch wenn die Erfolgsaussichten noch nicht sicher sind.

Zu oft schon wurde das Wort „wegweisend“ bemüht, wenn es um strengere Klimaschutzregulierung ging. Die erste Jahreshälfte 2021 allerdings schickt sich an, dem Sprachbild gerecht zu werden. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Kampf gegen die Klimakrise auch in der Arena der internationalen Diplomatie angekommen ist. So stand das Klima im Zentrum des G7-Gipfels in Cornwall und die EU bringt das Thema nun auch in die internationale Handelspolitik ein.

Noch in diesem Sommer wird die Europäische Kommission ein Konzept für eine CO2-Grenzabgabe vorstellen, ein erster Entwurf machte im Juni die Runde. Die Grundidee ist einfach: Wenn der CO2-Preis in Europa wie geplant ansteigt, werden klimaschädliche Produkte im Binnenmarkt teurer. Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) soll verhindern, dass außereuropäische Firmen klimaschädliche Produkte aus anderen Ländern importieren, indem diese mit der Abgabe teurer gemacht werden.

Wenn so etwas passiert, also Emissionsreduktionen in einem Land mit steigenden Ausstößen in einem anderen einhergehen, spricht die Wissenschaft von „Carbon Leakages“, also von Schlupflöchern für die Treibhausgase. Das Ganze ist ein volkswirtschaftliches Problem. Dementsprechend soll künftig klassische ökonomische Regulierung helfen, den negativen Spill-over-Effekt einzufangen. Zwei Möglichkeiten stehen für den Mechanismus des CO2-Grenzausgleichs zur Auswahl: eine Grenzabgabe (also eine Art Zoll) oder eine Steuer.

Beide Begriffe, Zoll und Steuer, lassen die Alarmglocken der EU-Handelspartner und internationalen Organisationen schrillen – nicht überraschend, da beide Begriffe in der Laissez-faire-Logik, die jahrzehntelang tonangebend war, rote Tücher sind.

Konflikt ist vorprogrammiert

Anfang des Jahres äußerten bereits die USA und die Welthandelsorganisation (WTO) ihre Bedenken, dass eine neue Handelsbarriere den freien Güteraustausch einschränken würde. Doch genau das ist der Zweck des Grenzausgleichs – die Regulierung des Güterverkehrs im Sinne der Fairness. Es ist kein Wunder, dass diese Idee der WTO zuwider ist, da sie dem Freihandelstrend der letzten 40 Jahre entgegensteht. Die WTO steht für den Abbau von Zöllen, Ein- und Ausfuhrbeschränkungen. Genau der freie Handel allerdings verhindert effektive Emissionsreduktionen, wenn es keine Mechanismen für Importe und Exporte gibt. Grundsätzlich befürworten deshalb Expert:innen, beispielsweise des IASS Potsdam, ein politisches Vorgehen gegen Carbon Leakages. Ein Grenzausgleich bringt Wissenschaftler:innen zufolge aber gleich mehrere neue Probleme mit sich, die in die künftige Regulierung einbezogen werden müssen:

  1. Die Wechselwirkungen mit dem europäischen Emissionshandel sind noch ungeklärt: Um emissionsarmen Produkten oder Grundstoffen tatsächlich einen Vorteil zu verschaffen, müssten Exporte solcher Produkte aus der EU finanziell gefördert werden, zum Beispiel indem weiterhin oder sogar noch mehr kostenlose Zertifikate für das Emissionshandelssystem ausgegeben werden. Das ist höchst umstritten und würde ein „Level Playing Field“ direkt wieder verspielen.
  2. Die EU könnte handelspolitische Gegenmaßnahmen provozieren: Strafzölle sind wieder en vogue, und nicht nur die USA könnten dieses Instrument gegen die Union einsetzen, wenn sie sich durch den Grenzausgleich benachteiligt fühlen. Auch Klagen vor der WTO sind möglich.
  3. Entwicklungsländer, deren Gegenmaßnahmen weniger Gewicht tragen, könnten wieder einmal als die größten Verlierer dastehen. Ohne das nötige Kapital zur Förderung klimafreundlicherer Technologien würden sie wirtschaftlich besonders benachteiligt.
Wege aus der Problemzone

Zwei Wege stehen langfristig offen, um die angespannte diplomatische Situation rund um den CBAM zu entschärfen, ohne ihn aufzugeben:

Die erste Option basiert auf der Idee des „Klima-Klubs“ von William Nordhaus. Sie wurde im Wahlkampf schon von den ehemaligen Freihandels-Frontlinern aus den Vereinigten Staaten selbst auf den Tisch gebracht: Die EU und die USA könnten beim CO2-Ausgleich einen gemeinsamen Weg gehen, zum Beispiel über kompatible Emissionshandelsinstrumente oder neue Handelsstandards nach außen. Aktuell scheint diese Möglichkeit allerdings nicht sehr wahrscheinlich, weil sich der US-Präsident innenpolitisch weiterhin mit einer Art „America-First-Light“-Politik zu profilieren versucht. Der G7-Gipfel vergangene Woche brachte keine Einigung.

Der zweite Weg, die Sprengkraft des Grenzausgleichs zu verringern, ist auf eine andere Art ambitioniert: Kommissionsvizepräsident Timmermans brachte dies vergangenen Monat mit einer einfachen Formel auf den Punkt: Erhöhen andere Länder ihren Beitrag zum Erreichen der Klimaziele von Paris, entfällt der Grund für eine Ausgleichszahlung.

Dieser zweite Weg ist zugegebenermaßen ein wenig zu rosig gedacht, verweist aber auf die zentrale Zutat, die das Instrument braucht und die ihm laut aktuellen ersten Vorschlägen fehlt: Kooperation. Anstatt den Grenzausgleich mit der Brechstange durchzusetzen oder ihn zu einem Papiertiger zusammenzustauchen, braucht es Anreize für die internationale Zusammenarbeit. Das können Investitionsförderungen für Entwicklungsländer oder auch Verträge mit Unternehmen zur Prämierung eingesparter Emissionen bei Exporten in die EU sein (sog. Carbon Contracts for Difference). Ansonsten wäre der CBAM tatsächlich nichts weiter als ein Schutz der hiesigen energieintensiven Industrien.

Eine neue Art der internationalen Zusammenarbeit

Alle drei Seiten – die EU, Drittstaaten sowie die Unternehmen – müssen sich offen für neue Instrumente zeigen, damit eine effektive Bepreisung von CO2 international funktionieren kann. Die Zeiten, in denen jede Regulierung an den Außengrenzen einfach ideologisch als schädlicher Protektionismus abgekanzelt werden kann, sind in der Wissenschaft lange vorbei. Dass Grenzabgaben im Gegenteil ein „Level Playing Field“ im Sinne des Klimaschutzes ermöglichen, betonte auch Europaabgeordnete Delara Burkhardt (SPD) kürzlich im Interview mit akzente.

Die EU, auf der anderen Seite, sollte das eigentliche Ziel, die Senkung der Emissionen, nicht aus den Augen verlieren. Das heißt, für klimafreundliche Produktion müssen Anreize gesetzt werden, egal ob in der EU oder außerhalb. Wenn diese Anreize den aktuellen Überlegungen noch folgen, besteht tatsächlich die Chance, auch international Emissionssenkungen anzustoßen, ob mit Klub oder ohne. Es bleibt abzuwarten, wie hoch die Bereitschaft auf allen Seiten ist, das Problem der Carbon Leakages wirklich gemeinsam anzugehen. Die EU-Kommission wird ihren ersten Vorschlag schon im Juli vorstellen.

Die ambitionierte Zeitplanung ist auch ein Signal an Unternehmen: Wege aus der CO2-Bepreisung wird es bald nicht mehr geben – für Dekarbonisierungsstrategien und eine echte Auseinandersetzung mit der eigenen Wertschöpfungskette ein weiterer Anreiz.


Foto: Marcin Jozwiak | Unsplash

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