Corporate Social Responsibility (CSR) ist bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch der Wirtschaft übergegangen. Doch die digitale Transformation bringt neue Verantwortung für Unternehmen mit sich – etwa beim Datenschutz oder dem Profiling durch Künstliche Intelligenz. Damit beschäftigt sich die Corporate Digital Responsibility (CDR).
Die grundlegenden Fragen bleiben gleich
Die „Wirtschafts- bzw. Unternehmensethik“ legte in den 90er Jahren den Grundstein für eine Auseinandersetzung mit neuen Denkmustern, die die damals vorherrschende Ökonomietheorie in Frage stellten. Der Markt wurde nicht mehr als ausreichendes Verteilungsinstrument angesehen, in dem die „Unsichtbare Hand“ des schottischen Moralphilosophen und politischen Ökonomen Adam Smith für ausreichende Anreize zur Herstellung und Allokation von Ressourcen in einem freien Markt sorgte. Bis dahin wurde beflissentlich übersehen, dass Smith’s Standardwerk „The Wealth of Nations“ in den Kontext des früheren Werks „The Theory of Moral Sentiments“ eingebettet ist, das die eigennützige Rationalität des Individuums erst in einer Umgebung der sozialen Moralität funktionieren lässt. Die negativen Seiten einer Wirtschaft, in der Unternehmen von der Gesellschaft jenseits der Profiterwirtschaftung keinerlei Verantwortung zugeschrieben wurde, wurden zu offensichtlich und man suchte schlußendlich nach einer Verknüpfung von organisationalem und gesellschaftlichem Gewinnstreben. Durch die Wissenschaft wurde der Begriff der Corporate Social Responsibility geprägt, der die theoretische Vorarbeit einer unternehmerischen Verantwortungszuschreibung zu einer praktischen Anwendung führte.
Eine neue Welt braucht eine neue Ethik
Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich gerade beim Begriff der Corporate Digital Responsibility. Durch die Digitalisierung wurden und werden neuartige, unregulierte Gesellschaftsräume geschaffen. In diesem neuen Wilden Westen wird nach einem Kodex gesucht, um menschliches Verhalten in vernünftige Bahnen zu lenken, die Kooperation zwischen Menschen auch online ermöglichen. Dafür werden jetzt die gesellschaftlichen Grundlagen ausgehandelt, die sich, analog der oben erwähnten Infragestellung des wirtschaftlichen Handelns in der materiellen Welt, anfangs auf einer philosophischen Ebene befinden. So wird im Bereich der „Digitalen Ethik“ nach Werten gesucht, die das menschliche Miteinander so gestalten, dass man auch in einer transzendenten und anonymisierten digitalen Welt eine Gesellschaft aufbauen kann, die auf Respekt und Moral fußt. Und in der nicht das Motto des Hobbes’schen Naturzustandes „Der Mensch ist des Menschen Wolf“ als Grundsatz für zwischenmenschliche Interaktionen gilt.
Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen
Wie bei allen ethischen Fragestellungen steht am Anfang die Überlegung, in welcher Welt man leben will. Und ob dies eine Welt sein soll, in der das Individuum auf einen zu beeinflussenden Konsumenten reduziert wird. Das Ideal eines mündigen Bürgers, der auch digital gesellschaftliche Teilhabe lebt und die Wissensverfügbarkeit nutzt, um informierte Entscheidungen zu treffen, wäre eher die Basis, auf der eine Ethik fußen könnte und sollte. Dieses auch in unserer Verfassung gesetzte Menschenbild sollte die Basis für jede Vision einer digitalen Wirtschaftsordnung sein.
Unternehmen sind wichtige Player
Wirtschaftliche Unternehmen haben eine gewaltige Gestaltungsmacht in dieser neuen, künstlichen Welt, deren Grundfesten erst geformt werden. Dafür braucht es enorme Finanzaufwendungen, die mit wirtschaftlichen Interessen verbunden sind. Aber nicht alles, was (kurzfristig) wirtschaftlich erfolgreich wäre, wäre auch im langfristigen Interesse einer globalen Internetökonomie. Im analogen Wirtschaftsleben basieren Geschäftsbeziehungen auf Vertrauensvorschüssen – im anonymen, digitalen Wirtschaftsleben ohne reale Face-to-Face-Kontakte vielleicht sogar noch mehr. Verlieren die Menschen das Vertrauen in Technologien, dann werden diese nicht mehr genutzt. Und damit verschwinden auch die mit den Technologien verbundenen Vorteile aus dem kollektiven Nutzen-Pool.
Eine Rahmenordnung wird aktuell gesetzt
Betrachtet man die Erfolgsquote von Branchen-Selbstverpflichtungen der Vergangenheit, zeigt sich, dass die wenigsten Unternehmen freiwillig Verantwortung in einem umweltpositiven Maße übernehmen. Denn die damit verbundenen Kostennachteile ergeben Wettbewerbsnachteile und die Profitmarge sinkt. Der an der LMU München lehrende Professor Karl Homann, einer der führenden Grundlagenforscher der Wirtschaftsethik, plädierte in seinem institutionenökonomischen Ansatz für Anreize, die man den Unternehmen innerhalb einer starken Rahmenordnung setzen muss. Die Rahmenordnung stelle ein „Level Playing Field“ her, auf dem jedes Unternehmen seine wirtschaftlichen Erfolge verwirklichen kann, aber nach klaren und einheitlichen Regeln. Freiwillige Vorleistungen für ein nachhaltigeres Wirtschaften, die von Wettbewerbern ausgenutzt werden können, sind dann nicht mehr nötig. Die EU ist gerade mit den Gesetzgebungen rund um Nachhaltigkeitsreporting und Sustainable Finance dabei, für die Realwirtschaft eine solche Rahmenordnung aufzubauen. Die digitale Welt ist noch weitgehend unreguliert, hier hinkt der Gesetzgeber noch den Entwicklungen hinterher. Mit der Datenschutzgrundverordnung und den Regulierungsüberlegungen bezüglich Künstlicher Intelligenz, wurden aber erste Schritte gemacht und das Korsett wird gerade enger geschnürt. Der Gesetzgeber legt nun für Unternehmen fest, was sie dürfen und was nicht. Damit erfüllt er seinen Auftrag der Bewahrung einer stabilen Gesellschaft, in der sich Individuen frei entfalten und glücklich leben können.
Jetzt heißt es: Bei sich anfangen…
Der Staat wird es schon richten? Zumindest aus der Risikoperspektive ist es für Unternehmen geboten, Regeln für ihr digitales Handeln selbst zu gestalten. Zu undurchsichtig ist diese neue Welt und zu schnell kann es zu unvorhergesehenen Konsequenzen kommen, die in einer Beschädigung der digitalen Infrastruktur oder technikgestützten Verhaltensmuster münden. Dabei ist hier die Systemerhaltung – wie in der physischen Welt – eine Grundvoraussetzung für langfristigen wirtschaftlichen Erfolg. Eine digitale Ethik in die Organisation einzuführen, an deren Werten das eigene Handeln gemessen wird, ist der erste Schritt dahin. Im zweiten Schritt müssen diese Werte prozessualisiert werden und in Leitlinien, Strukturen und Managementvorgaben einfließen, damit sie im Unternehmen gelebt werden können. In einem dritten Schritt müssen die nötigen Ressourcen bereitgestellt werden, damit die Unternehmenswerte bei der Entwicklung und Bereitstellung von digitalen Infrastrukturen und Dienstleistungen umgesetzt werden können. Beispielsweise muss bereits bei der Ideenfindung eruiert werden, ob es womöglich negative Auswirkungen gibt. In Designentscheidungen muss die Lebensdauer des Produktes einfließen. Entwickler müssen angehalten werden, möglichst datensparsam vorzugehen, sowohl bei der Erfassung als auch bei der Übertragung von Daten über die globale Infrastruktur. Zahlreiche Detailfragen sind anzupacken.
… und kreativ mitgestalten
Für diejenigen Unternehmen, die darüber hinaus gehen wollen, gibt es eine Menge Möglichkeiten. Dabei muss man nicht ganz von Vorne anfangen. Es gibt bereits viel Vorarbeit und nützliche Hilfestellungen, z.B.
- bei der Entwicklung von Leitlinien,
- der Vermittlung von Wissen,
- der Technikfolgenabschätzung,
- dem Vorantreiben globaler Netzwerke
- und deutscher Netzwerke,
- der Beteiligung an Initiativen,
- und Diskussionsplattformen.
Mit diesen Mitteln können Unternehmen dazu beitragen, dass das Internet zu einem Ort des Austausches wird, an dem Kreativität und Innovation die vorherrschenden Merkmale sind, und der mündige digitale Bürger sich an einer funktionierenden Wirtschaft und einer gelebten Demokratie beteiligen kann.
Foto: Martino Pietropoli | Unsplash