- Tourismus-Unternehmen haben oft selbst bei kleiner Mitarbeiteranzahl sehr lange Lieferketten
- Viele Unternehmen stehen beim Thema der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht noch am Anfang
- Ausbleibende Reisende im globalen Süden durch Covid-19 gefährden besonders die Schwächsten der Gesellschaft
Mit den 2011 verabschiedeten UN Guiding Principles on Business and Human Rights wurde erstmals ein internationaler Referenzrahmen für das Thema Wirtschaft und Menschenrechte geschaffen. Das war der Ausschlag für die Gründung der Brancheninitiative Roundtable Human Rights in Tourism, der heute Reiseveranstalter, Verbände, Zertifizierer sowie Institutionen und NGOs aus sechs europäischen Ländern angehören. Wir sprachen mit Jara Schreiber von der Multi-Akteurs-Initiative zu Menschenrechten im Tourismus und zu den Auswirkungen von Covid-19.
Covid-19 stellt uns vor große Herausforderungen und lässt den Tourismus erstarren. Welche Auswirkungen hat das Erliegen des Tourismus weltweit auf die Menschenrechte?
Die aktuelle wirtschaftliche Lage für die Tourismusbranche ist gravierend. Momentan kämpft die Branche darum, Kredite zu bekommen und Mitarbeiter zu halten. Ein Unternehmen, das gerade keine Reisen verkauft, steht vor der großen Herausforderung, seine Angestellten und Dienstleister weiter zu bezahlen. Natürlich hat dies auch Auswirkungen auf die Lieferkette, da es Unternehmen im Moment nicht möglich ist, in den Destinationen Aufträge zu vergeben. Gleichzeitig gibt es in vielen Reiseländern oft keine soziale Absicherung und keine staatliche Unterstützung. Vor allem in den Ländern, die vom Tourismus abhängig sind und keine resilienten Strukturen haben, ist die Situation verheerend.
Ganz pauschalisieren kann man die Auswirkungen von Covid-19 und das Erliegen des Tourismus auf die Menschenrechtslage nicht, denn sie sind sehr ortsabhängig. Bestimmte Themen, auf die der Tourismus positive Wirkung haben kann, wie z. B. die Ausbildung von Fachkräften, stehen momentan oft still. Die wirtschaftliche Lage ist, wie beschrieben, prekär. Dies führt besonders zur Gefährdung von Kindern, Frauen und Arbeitsmigrant*innen; vor allem die Schutzbefohlenen leiden. Gleichzeitig verbrauchen aber Hotels und große Anlagen zum Beispiel gerade kaum Wasser, was mancherorts den Zugang zu Trinkwasser verbessern kann.
Im Tourismus steht oft der Mensch im Fokus. Haben touristische Unternehmen eine besondere Aufgabe in der Wahrung der Menschenrechte?
Natürlich hat jedes Unternehmen Lieferketten und eine Verantwortung für gesetzeskonformes und faires Handeln entlang dieser Lieferketten. Zwei Faktoren sind allerdings im Tourismus besonders: Erstens reisen die Kunden zum Produkt und nicht das Produkt zum Kunden; zweitens ist die Lieferkette meist sehr kleinteilig. Nicht selten arbeitet ein kleiner Reiseveranstalter mit vier Mitarbeitern für eine angebotene Reise mit hundert Dienstleistern zusammen – von Guides über Hotel- und Restaurantangestellte bis hin zu Souvenirverkäufern und Fahrpersonal.
Was muss ein touristisches Unternehmen leisten, um seiner menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht im Jahr 2020 nachzukommen?
Grundlegend muss sich das Unternehmen darüber bewusst sein, welche menschenrechtlichen Handlungsfelder und Risiken es entlang seiner Lieferkette gibt. Dazu muss es seine Lieferkette auch über das erste Glied hinweg kennen. Zusätzlich muss das Unternehmen bereit sein, die Auswirkungen seiner Produkte in einer Destination aktiv zu managen, Risiken anzugehen und zu verringern. Es muss Möglichkeiten für alle Beteiligten entlang der Lieferkette geben, in einem geschützten Rahmen Beschwerde einzulegen. Dabei geht es auch immer um das Erkennen der eigenen Möglichkeiten als Unternehmen sowie der Themen, die besser im Kollektiv angegangen werden sollten, um Veränderung zu schaffen.
Verhaltenskodizes bleiben oft ohne Wirkung. Wie unterstützt der Roundtable dabei, die Kodizes mit Leben zu füllen?
Wir sehen uns als Austausch- und Lernplattform zum Thema Menschenrechte im Tourismus. Dabei hilft der Multi-Stakeholder-Ansatz verschiedene Blickwinkel zu berücksichtigen und offen zu diskutieren, und zwar in einem geschützten Rahmen und über Konkurrenz-Denken hinweg.
Wir bieten konkrete Unterstützung bei der Umsetzung einer Unternehmensstrategie, die Menschenrechte einbezieht. Wir untersuchen z. B., wie in bestehenden Supplier Codes of Conduct Themen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht ergänzt werden können. Oder wir bringen über unser Netzwerk Unternehmen, die Hilfe bei einem bestimmten Thema benötigen, mit einem Good Practice-Unternehmen zusammen.
Wir sensibilisieren auch dafür, dass bei Besuchen vor Ort immer überprüft werden sollte, ob die Regeln eingehalten werden. Es gibt Unternehmen, die über den Supplier Code of Conduct hinausgehen und regelmäßig in Destinationen Workshops anbieten oder Foren mit allen Stakeholdern – vom Strandhotelmanager bis zum Fischer – organisieren, um menschenrechtlich relevante Themen direkt mit den Rechteinhabern zu erörtern. Wie alle Unternehmen sollten sich Reiseveranstalter dabei zuerst auf ihre größte Hebelwirkung konzentrieren. Das sind meist die Destinationen, in denen sie besonders stark aktiv sind.

Für alle, die sich erstmals mit diesen Themen auseinandersetzen, haben wir das frei verfügbare „Get Started“ Online-Tool entwickelt. Es zeigt menschenrechtliche Risiken entlang der touristischen Lieferkette auf und bietet reale Fallbeispiele, Vorlagen und Ressourcen, die Reiseveranstalter bei der Definition vorrangiger Themen und der Planung individuell geeigneter Maßnahmen unterstützen.
Als Angebot für Unternehmen, die bereits weiter im Due-Diligence-Prozess sind und vor Ort vertieft ihre Auswirkungen auf Menschenrechte erfassen möchten, bieten wir in einem zweiten Teil unseres Tools eine sehr fundierte Schritt-für-Schritt-Anleitung für eine umfassende menschenrechtliche Wirkungsanalyse (Human Rights Impact Assessment – HRIA) in einem Zielgebiet.
Begleitend zur Entwicklung dieses Online-Tools hat der Roundtable mit verschiedenen Mitgliedern ein exemplarisches HRIA in Myanmar und Thailand durchgeführt. So konnten Netzwerke gemeinsam genutzt, Ressourcen gespart, relevante Folgemaßnahmen mit den lokalen Kontakten geplant und ein gemeinsamer Lernprozess etabliert werden.
Generell sind bislang aber noch wenige touristische Unternehmen zum Thema Menschenrechte in der Lieferkette sensibilisiert.
Das deckt sich mit den ersten Erkenntnissen aus dem Monitoring-Verfahren der Bundesregierung für den Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Nur 19% befragter Unternehmen halten die Mindestanforderungen ein. Es deutet sich also ein Lieferkettengesetz an. Inwiefern beschäftigen Sie sich mit der Gesetzesinitiative?
Wir befürworten in jedem Fall die Gesetzesinitiative und befinden uns auf nationaler Ebene in engem Austausch mit dem NAP-Helpdesk, der auf nationaler Ebene mit der Umsetzung des Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte betraut ist. Auf europäischer Ebene beobachten wir durch unsere Mitglieder auch die dortigen Entwicklungen wie z. B. den Modern Slavery Act im Vereinigten Königreich oder die Konzerninitiative in der Schweiz. Obwohl unter unseren deutschen Mitgliedern nur ein Unternehmen so groß ist, dass ein Gesetz rechtlich relevant wäre, wäre es nichtsdestotrotz ein großes Zeichen für die Branche und die gesamte Wirtschaft.
Titelbild: Lauren Kay, Unsplash