Alle Energieträger und Rohstoffe müssen erneuerbar erzeugt werden

Erdgas wird zu einem tragenden Eckpfeiler der künftigen Energieversorgung in Deutschland. Um die Klimaziele zu erreichen, bedarf es aber CO2-freier Energieträger. Über die künftige Rolle und die Möglichkeiten von Gas sprachen wir mit Christoph Jugel, Leiter Integrierte Energiesysteme der Deutschen Energie-Agentur (dena) in Berlin.

 

Herr Jugel, der „Dialogprozess Gas 2030“ des BMWi wurde rund einen Monat vor dem Beschluss der Europäischen Investitionsbank (EIB) abgeschlossen, künftig keine fossilen Energieträger mehr zu finanzieren. Inwiefern hat die neue „Energy Lending Policy“ der EIB Auswirkungen auf die Erdgasstrategie der Bundesregierung?

Die Ankündigung der EIB wird von der Gasbranche mit großem Interesse verfolgt, immerhin ist die EIB einer der weltweit größten multilateralen Kapitalgeber für Klimaschutzmaßnahmen. Mit der im November veröffentlichten „Energy Lending Policy“ verdeutlicht die EIB, dass sie das langfristige EU-Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft unterstützt, etwa durch die Förderung notwendiger Infrastrukturen sowie durch die Unterstützung des Markthochlaufs von Energiewende-Technologien. Hierunter versteht die EIB explizit sowohl den weiteren Aufbau der Erzeugungskapazitäten für erneuerbaren Strom als auch die Erzeugung und Integration von „low-carbon gases and fuels“.

Die EIB betont dabei explizit, wie wichtig der Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern ist und stellt die Unterstützung des Gassektors bei der Umstellung von Erdgas zu „low-carbon gases“ wie Biogas und Powerfuels — insbesondere synthetischem Methan und Wasserstoff — in den Fokus. Kritisch wird gesehen, dass gleichzeitig ein Auslaufen der Finanzierung „traditioneller Gasinfrastrukturen“ wie Netzwerke und Speicher angekündigt wird — dabei werden diese Infrastrukturen auch für erneuerbar erzeugte, klimaneutrale Gase weiterhin benötigt!

Zwar sind auf der kürzlich von der EU-Kommission benannten Projektvorhabenliste „Important Projects of Common European Interest“ (PCI) auch weiterhin europäische Gas-Infrastrukturprojekte zu finden, allerdings wird hier kein Bezug auf die notwendige Transformation von fossilen Gasen hin zu CO2-freien Energieträgern wie grünem Wasserstoff genommen. Hier sollte sich die Bundesregierung nach Sicht der Branche aktiv in die Debatte über die Taxonomie und die damit verbundene Frage „was ist grün und was nicht?“ einbringen.

 

Was waren die wesentlichen Erkenntnisse aus dem „Dialogprozess Gas 2030“ des BMWi? Anders gefragt: Was ist danach anders als vorher?

Ein wesentlicher Aspekt beim Dialogprozess „Gas 2030“ war, dass die Politik ein deutliches Signal an die Marktakteure gesendet hat: Wir sind uns einig, dass unser zukünftiges Energiesystem nicht nur auf grünen Elektronen — Strom aus erneuerbaren Energiequellen — basiert, sondern dass wir auch weiterhin Moleküle in Form von gasförmigen und flüssigen Energieträgern und Rohstoffen brauchen werden. Das war für die Gasbranche sehr wichtig, weil dort durch die starke Fokussierung auf EE-Strom während der ersten Phase der Energiewende eine gewisse Verunsicherung herrschte.

Diese stofflichen Energieträger müssen zukünftig natürlich klimaneutral erzeugt werden, und es ist gut, dass der Transformationsprozess von der heute fossilen Gasversorgung hin zu einer erneuerbaren, CO2-freien Gasversorgung 2050 jetzt angegangen wird. Ein weiteres wichtiges Signal hat „Gas 2030“ auch insofern gegeben, dass die Politik die Stakeholder an einem solchen Dialog intensiv beteiligt hat. Gerade das Einbeziehen unterschiedlicher Blickwinkel wurde von den Teilnehmern als sehr wertvoll wahrgenommen.

Wichtig ist nun, dass der Prozess in spezifischen Themengebieten — beispielsweise bei der Weiterentwicklung der Infrastrukturen sowie zum Hochlauf der Erzeugung erneuerbarer, CO2-neutraler Gase — fortgesetzt und mit konkreten Maßnahmen und Instrumenten hinterlegt wird. Die Verabschiedung und anschließende Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie wird ein wichtiger Schritt sein, aber nicht der einzige.

Christoph Jugel © dena
Christoph Jugel, Leiter Integrierte Energiesysteme der Deutschen Energie-Agentur © dena

Neben Erdgas war auch Wasserstoff ein wesentliches Thema des Dialogprozesses. Wird es im Rahmen der angekündigten Nationalen Wasserstoffstrategie auch um Technologien gehen, aus Erdgas Wasserstoff zu erzeugen? Welche Chancen und Risiken gehen mit solchen Technologien einher?

Die Nationale Wasserstoffstrategie wird nach derzeitiger Kenntnis Wasserstoff im Allgemeinen behandeln, unabhängig von der Quelle. Aus energie- und industriepolitischer Sicht sind bei der Frage nach der passenden Erzeugungstechnologie für CO2-neutralen Wasserstoff sowohl die Dimension der zu bestimmten Zeiten benötigten Wasserstoffmengen als auch die damit verbundenen Erzeugungskosten zu berücksichtigen. Und für beide Dimensionen ist das „Rennen“ zwischen grünem Wasserstoff (aus erneuerbarem Strom per Elektrolyse) und blauem Wasserstoff (aus fossilem Erdgas unter Abscheidung und Speicherung des Kohlenstoffs) noch lange nicht entschieden!

Klar ist meiner Meinung nach: Perspektivisch müssen alle Energieträger und Rohstoffe erneuerbar erzeugt werden. Klar ist aber auch: Auf dem europäischen Energiemarkt wird zukünftig auch blauer Wasserstoff angeboten werden. Wir müssen also den regulatorischen Rahmen so gestalten, dass wir alle „Wasserstoff-Farben“ zulassen und einen Wettbewerb verschiedener klimaneutraler Technologien ermöglichen, uns gleichzeitig aber auch in Richtung der langfristig nachhaltigsten Option entwickeln. Und wir sollten auch die großen industriepolitischen Chancen nutzen, die sich für die deutsche Wirtschaft aus einem raschen Hochlauf von „Power to Gas“-Technologien zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im Heimatmarkt ergeben!

 

Das Interview, weitere Informationen zum Thema Erdgas und nachhaltigkeitsrelevante Entwicklungen in Berlin und Brüssel finden Sie im aktuellen Politikmonitor.

 

Titelbild: PublicDomainPictures, Pixabay

Politikmonitor: Erdgas – Zukunftspfad oder Sackgasse?

Mit dem Politikmonitor Nachhaltigkeit berichten wir seit 2015 regelmäßig zu Themen, Veranstaltungen und regulatorischen Entwicklungen aus Brüssel und Berlin. Denn politische Diskussionen und Rahmenbedingungen bestimmen immer stärker, wie eine nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft ausgestaltet wird. Mit unserem Politikmonitor wollen wir Einblicke geben, Überblick schaffen und Ausblicke versuchen.

Taxonomie: Maßstab für Nachhaltigkeit

Der 2018 von der EU beschlossene Aktionsplan zur Finanzierung Nachhaltigen Wachstums (Sustainable Finance) umfasst insgesamt zehn Punkte. Eine zentrale Komponente ist die sogenannte EU-Taxonomie als Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit. Sie definiert, welche wirtschaftlichen Aktivitäten nach dem Verständnis und gemäß den Zielen der EU als nachhaltig gelten können. Indem sie Investoren und Unternehmen damit eine Orientierung gibt und als Entscheidungshilfe dient, soll sie private und öffentliche Investitionen ankurbeln, um den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu finanzieren.

Beitrag zu sechs Umweltzielen

Derzeit umfasst die Taxonomie Kriterien dafür, welche wirtschaftlichen Aktivitäten zur Erreichung der beiden Umweltziele Klimaschutz sowie Anpassung an den Klimawandel substanziell beitragen. Bis Ende 2021 sollen solche Kriterien auch hinsichtlich der weiteren vier Umweltziele festgelegt sein. Das sind: Nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Bei den Aktivitäten, auf die sich die Kriterien der Taxonomie beziehen, werden zwei Arten unterschieden: Das sind einerseits Aktivitäten, die selbst einen substanziellen Beitrag zu einem der Umweltziele leisten (own performance), andererseits Aktivitäten, die substanzielle Beiträge anderer Aktivitäten erst ermöglichen (enabling activties).

Drei zentrale Grundsätze

Damit Aktivitäten als taxonomiekonform eingestuft werden können, müssen sie nicht nur einen substanziellen Beitrag zu einem Umweltziel leisten. Sie dürfen zugleich auch keines der anderen Umweltziele erheblich beeinträchtigen und sollen außerdem soziale Mindestanforderungen erfüllen. Dazu gehören insbesondere die Leitlinien für Multinationale Unternehmen der OECD und die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Die drei grundsätzlichen Anforderungen auf einen Blick (Technical Expert Group on Sustainable Finance, 2020):

  • Substanzieller Beitrag zu mindestens einem der insgesamt sechs definierten Umweltziele (Substantially contribute)
  • Keine erhebliche Beeinträchtigung eines der anderen fünf definierten Umweltziele (Do no significant harm)
  • Übereinstimmung mit sozialen Mindeststandards (Minimum safeguards)

Wirkungsweise der Taxonomie

Die Wirkung lässt sich anhand eines Beispiels erläutern: Eisen und Stahl werden auch für eine nachhaltige Wirtschaft benötigt, doch muss deren Herstellung künftig mit besonders effizienten Anlagen erfolgen. Sie erfüllt die Klimaschutzanforderungen der Taxonomie deshalb nur, wenn die mit den Produktionsprozessen verbundenen Treibhausgasemissionen niedriger sind als die von der EU definierten Richtwerte (Benchmarks). Für Roheisen beispielsweise liegt der Richtwert bei 1,328 Tonnen CO2-Äquivalenten je Tonne Produkt. Einen substanziellen Beitrag im Sinne der Taxonomie leisten Anlagen, die diesen Richtwert erfüllen, oder Investitionen, die dazu führen, diesen Richtwert zu erreichen bzw. zu unterschreiten.

Anlagen und Projekte zur Kohleverstromung sind grundsätzlich nicht mit der Taxonomie vereinbar, da sie die Klimaschutzziele der EU konterkarieren würden. Atomkraft scheidet aufgrund des Prinzips „Do no significant harm“ voraussichtlich genauso aus dem Kreis taxonomiekonformer wirtschaftlicher Aktivitäten aus. Hierüber wird auf EU-Ebene allerdings noch diskutiert. Doch auch die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien oder Erdgas ist nicht sakrosankt, sondern unterliegt den strengen Anforderungen der Taxonomie. So kann beispielsweise eine ineffizient arbeitende Photovoltaikanalage nicht als taxonomiekonform gelten.

Zukünftige Berichtsanforderungen

Unternehmen, die aufgrund der europäischen CSR-Richtlinie berichtspflichtig sind, müssen ab 2022 in ihren nichtfinanziellen Erklärungen zusätzlich angeben, wie hoch der Umsatzanteil taxonomiekonformer Aktivitäten und wie hoch der taxonomiekonforme Anteil ihres Investitionsvolumens ist. Dies gilt zunächst nur für die beiden klimabezogenen Ziele, ein Jahr später dann für alle sechs Umweltziele.

Umsetzung durch Finanzmarktakteure

Anhand der Unternehmensangaben sollen Finanzmarktakteure wiederum ermitteln, wie hoch der Anteil taxonomiekonformer Aktivitäten in ihren Finanzprodukten, beispielsweise Investmentsfonds, ist. Für „grüne“ Finanzprodukte ist das Ergebnis zwingend darzustellen, bei nachhaltigen Finanzprodukten gilt dies nur für den „grünen Anteil“, bei konventionellen Finanzprodukten hat es entweder ebenfalls zu erfolgen oder es muss folgender Hinweis gegeben werden: „Die diesem Finanzprodukt zugrunde­liegenden Investitionen berücksichtigen nicht die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Investitionen“. Das Prinzip zur Bestimmung des Anteils taxonomie­konformer Aktivitäten ist hier am Beispiel eines Aktien-Portfolios skizziert:

(C) Technical Expert Group on Sustainable Finance 2020
Quelle: Technical Expert Group on Sustainable Finance (2020)

Ausblick

Die Taxonomie wurde von den Mitgliedern der Technical Expert Group on Sustainable Finance entwickelt. Die EU-Komission wird die von ihnen vorgelegte Fassung noch einmal prüfen und gegebenenfalls Details anpassen. Mit einer Entschärfung der Anforderungen ist laut Aussagen der Generaldirektion FISMA (Financial Stability, Financial Services and Capital Markets Union) aber nicht zu rechnen. Bis Ende 2021 soll die Taxonomie zudem auf alle sechs Umweltziele erweitert worden sein.

Bereits bis Juni 2021 will die EU-Kommission die Berichtspflichten für Unternehmen des Finanzmarkts wie für Unternehmen der Realwirtschaft im Detail festgelegt haben. Finanzunternehmen sollen erstmals zum 31. Dezember 2021 gemäß Taxonomie berichten. Und ab Januar 2022 sollen dann alle Unternehmen der Realwirtschaft, die unter die europäische CSR-Richtlinie fallen, Umsatz und Investitionen gemäß der Taxonomie ausweisen.

 

Downloads

Taxonomy. Final report of the Technical Expert Group on Sustainable Finance (März 2020)

Taxonomy Report. Technical Annex (März 2020)

 

Titelbild: William Daigneault, Unsplash

Finaler Taxonomie-Bericht für Sustainable Finance-Aktionsplan der EU

In ihrem finalen Taxonomie-Bericht schlägt die TEG neue Offenlegungspflichten für Unternehmen im Rahmen der Nichtfinanziellen Erklärung vor. Erstmals legt sie dafür auch quantitative Kennzahlen fest. Finanzmarktakteure sollen zudem ihr Portfolio nach Umweltkriterien kategorisieren und Green Finance-Produkte kennzeichnen. Die Vergleichbarkeit im Finanzmarkt soll dadurch erheblich gestärkt werden.

 

Inhalte der neuen Reportingpflichten nach der EU-Taxonomie

Von den Unternehmen sind diejenigen betroffen, die unter die CSR-Richtlinie fallen. Nach der EU-Taxonomie für ein nachhaltiges Finanzwesen müssen diese Unternehmen den Anteil des Umsatzes mit Aktivitäten, die die Kriterien der Taxonomie erfüllen, ausweisen, sowie die Investitionen (Capex) und, falls relevant, die Ausgaben (Opex), in bzw. für Aktivitäten nach den Kriterien der Taxonomie.

Finanzmarktteilnehmer müssen für jedes relevante Finanzprodukt angeben, ob und in welchem Umfang sie die Taxonomie bei der Bestimmung der Nachhaltigkeit der zugrunde liegenden Investments verwendet haben. Wenn sie bei einem Finanzprodukt zur Anwendung kam, dann muss auch offengelegt werden, zu welchen Umweltzielen diese Investments beitragen und den Anteil der Investments, der an der Taxonomie ausgerichtet ist.

 

Leistungsbewertung zur Einstufung als grünes Finanzprodukt

Die Prüfung erfolgt dabei durch Technische Screeningkriterien („performance thresholds“) für die von der Taxonomie definierten Umweltziele. Alle Aktivitäten dürfen als „Green Finance“ bezeichnet werden, die einen substanziellen Beitrag zu einem Umweltziel leisten, keinen signifikanten Schaden (DNSH) für die anderen verursachen und ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen erfüllen (z.B. die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte).

EU Taxonomie How to
Quelle: Taxonomy: Final report of the Technical Expert Group on Sustainable Finance, 2020; S. 2

 

Roadmap für die Umsetzung

Die Finanzmarktteilnehmer müssen zum 31. Dezember 2021 ihre ersten Offenlegungen gemäß der Taxonomie vorlegen, zunächst beschränkt auf die Umweltziele zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel. Die Unternehmen werden erst im Laufe des Jahres 2022 zur Offenlegung verpflichtet sein, dann jedoch zu allen sechs Umweltzielen.

 

Eine detailliertere Analyse finden Sie auf unserer Webseite www.csr-berichtspflicht.de, die über die aktuellen politischen Entwicklungen in Brüssel und Berlin informiert.

 

 

Titelbild: evgeniafor, Pixabay